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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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meinte Rufinus. »Streng geheim. Wie in den alten Tagen des letzten Blumenkriegs.«
    Rainfarn bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Der war vor deiner Zeit. Auf jeden Fall solltest du an Orten, wo Fremde mithören können, keine solchen Bemerkungen machen. Das bringt die Leute nur auf dumme Gedanken.«
    »Ja, ja, gewiß doch.« Rufinus nickte energisch. »Ganz recht, Onkel Quillius.«
    O Gott, dachte Theo beklommen. Ich breche zu einer furchtbar gefährlichen Reise auf, und mein Leibwächter ist ein unfähiger aristokratischer Schnösel.
    »Also, Heider wird gleich mit der Kutsche kommen und euch zum Bahnhof bringen …«
    »Kutsche?«
    »… und darum«, fuhr Rainfarn in strengem Ton fort, »haben wir nicht viel Zeit für langes Gerede. Rufinus kann sich zwar jederzeit mit mir in Verbindung setzen, aber obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, daß ihr beide getrennt werdet, solltest auch du die Möglichkeit haben, mich zu erreichen. Es könnte sein, daß ein öffentlicher Anschluß sich nicht anbietet, und deshalb«, er langte in die Brusttasche seines weißen Kittels, »möchte ich, daß du dies an dich nimmst.«
    Theo starrte ratlos das kleine Lederetui an. Schließlich klappte er es auf, da man dies von ihm zu erwarten schien. Auf dem weichen Samtfutter lag eine goldene Filigranarbeit, die leicht abstrakte Plastik eines Vogels, die ungefähr die Breite und Länge zweier ausgestreckter Finger hatte. »Was … was ist das?« fragte er.
    »Wir nennen es eine Muschel. Sie wird deinen Worten Flügel verleihen«, antwortete Rainfarn gönnerhaft. »Öffne das Etui und sprich hinein, wenn du in Not bist, und ich werde dir antworten.«
    »Oh. Dann ist es so was wie … ein Handy?«
    Rainfarns Stirn verzog sich kaum merklich. »Es ist ein wissenschaftliches Gerät. Behandele es mit Achtung.« Als sie die große sandfarbene Eingangsdiele erreichten, deren auffälligstes Merkmal eine ebenso elegante wie schlichte Treppe war, hatte er seine Bonhomie wiedergewonnen. Theo war sich gar nicht bewußt gewesen, daß das Haus ein Obergeschoß hatte. Falls dem wirklich so war. »Heinzel«, sagte Rainfarn, »ist Heider mit der Kutsche schon da?«
    »Er wartet im Hof.«
    »Dann fängt dein Abenteuer jetzt an, Junker Vilmos.« Rainfarn lächelte. Er gab sich Mühe, aber ganz überzeugend war es trotzdem nicht. »Komm, ich bringe dich noch zur Tür.«
    Mein Abenteuer? Unwillkürlich fielen Theo andere wunderbare Euphemismen aus seiner Vergangenheit ein, etwa die Bemerkung einer Freundin in der High-School, miteinander Schluß zu machen wäre »eine Lernerfahrung«.
    Die dunklen Wolken am Himmel hatten sich zugezogen, so daß trotz der Mittagszeit ein dämmeriges Halbdunkel herrschte und der feuchte Geruch eines nahenden Gewitters in der Luft lag. Es paßte ganz gut zu Theos schlechter Laune. Falls er die vage Hoffnung gehegt hatte, Püppchen und Teddybär und andere Mitglieder des Haushalts würden kommen und ihm Lebewohl sagen, so wurde er enttäuscht. Nicht einmal Rainfarn zeigte sich geneigt, allzu lange draußen an der Luft zu verweilen. Während sie auf den Rücksitz der sogenannten Kutsche stiegen, dem Aussehen nach einfach eine etwas altmodische beige Luxuslimousine, wie sie (von ein paar extravaganten silbernen und goldenen Zierteilen abgesehen) in Theos Kindheit auf dem San Francisco Airport in der Abholerspur hätte warten können, sprach Rainfarn hastig die letzten Worte.
    »Es wird alles gutgehen. Rufinus weiß, wo du hinmußt – nicht wahr, Rufinus?«
    »Keine Frage, Onkel.« Der junge Kegel-Chrysantheme ließ ein selbstsicheres Lachen hören.
    Theo verspürte eine Mischung aus Verwirrung und Resignation. Er hatte noch viele Fragen, aber Apfelgriebs krabbelte gerade über seine Schulter zu einer der hinteren Kopfstützen, und Rufinus rammte ihm einen riesigen Koffer, den er in den Wagen bugsiert hatte, schmerzhaft ans Schienbein. Bevor Theo es sich versah, hatte Rainfarn bereits die Tür zugeschlagen und sich ins Haus zurückgezogen, das von außen viel normaler aussah, als er gedacht hätte: ein langes modernistisches Herrenhaus aus hellem Stein, mit Pagodendächern und getönten Scheiben.
    Theo zuckte zusammen, als auf Rufinus’ Seite ein gespenstisches Gesicht zum Fenster hereinschaute. Es hatte eine lange, pferdeartige Schnauze und eine irisierende graugrüne Hautfarbe, die hervorragend zu dem flotten marineblauen Anzug mit entsprechender Mütze paßte. Es hatte riesige Nüstern, aber keine Augen. »Kann ich dir

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