Der Blut-Mythos
gebunden.
An der linken Schulter war der Stoff des Kleides aufgerissen. Durch die Lücke schimmerte die helle Haut, auf der sich auch einige Tropfen abmalten.
Das Licht wanderte weiter. Dem Kopf, dem Hals und auch dem Gesicht entgegen.
Ein starres Gesicht. Ein Totengesicht! Umrahmt von dunklen Haaren mit grauen Strähnen. Augen, die nicht ganz geschlossen waren. Wie bei einem Toten, dem die Augen nicht zugedrückt waren. Der Lichtkreis glitt weiter, denn er sollte mir einen bestimmten Verdacht bestätigen.
Für mich war die linke Seite wichtig.
Da sah ich das Blut.
Ich schrak nicht mal zusammen, da ich darauf gefaßt gewesen war. Nur wollte ich mehr wissen und bückte mich tiefer. Nicht nur das Blut war zu sehen, auch die beiden dunklen Bißstellen, die sich wie kleine Knorpel auf der Haut abzeichneten.
Ich wußte Bescheid.
Vor mir lag ein weiblicher Vampir!
Schnaufend verließ die Luft meine Nase, und vor meinen Augen entstand das Bild eines grinsenden Will Mallmann, aber auch mit Chronos mußte ich rechnen.
»Okay, dann sehen wir weiter«, flüsterte ich vor mich hin und verließ die Nähe dieses Betts, um an das andere heranzutreten, wo der Mann seinen Platz gefunden hatte.
Auch ihn leuchtete ich an. Er war schon älter. Sein Gesicht wies eine zerfurchte Haut auf. Aber er lag da und bewegte sich nicht. Bei ihm standen die Augen offen. Sein Blick war tatsächlich so leer wie der eines Toten.
Ich verzichtete zunächst darauf, seinen Hals anzuleuchten. Dafür schob ich seine Oberlippe zurück. Er ließ alles mit sich geschehen, ohne sich zu bewegen. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Er würde erst in der Dunkelheit erwachen.
Diese Chance wollte ich ihm und auch dem weiblichen Vampir nicht mehr geben.
Ich klemmte die Lampe am Gürtel fest und nickte dem schlafenden Blutsauger zu. »Es muß sein«, sagte ich nur, während ich mein Kreuz hervorholte.
Es schwang über der Gestalt des Liegenden hinweg, und wahrscheinlich war die Nähe für den Blutsauger bereits spürbar. Ein erstes Zucken durchrann sein Gesicht. Dabei allerdings blieb es von seiner Seite aus, denn ich senkte das Kreuz und ließ es dann fallen, so daß es auf der Brust des Liegenden landete.
Ein Stromstoß hätte kaum eine andere Wirkung gehabt. Für einen winzigen Augenblick strahlte das Kreuz auf. Innerhalb dieses bleichen Lichts schnellte der Körper aus seiner liegenden Position in eine sitzende Stellung hinein.
Weiter kam er nicht. Das Zucken blieb, die Arme fuhren noch einmal hoch, der Mund wurde weit, sehr weit aufgerissen, dann fiel der Körper wieder zurück, verkrampfte sich noch einmal und blieb unbeweglich liegen, den Kopf leicht zur Seite gedreht.
Vorbei, aus. Ich hatte ihn endgültig getötet, ihn aber gleichzeitig von seinem schrecklichen Dasein erlöst.
In meinem Rücken hörte ich das Geräusch. Eine alte Unterlage oder Matratze bewegte sich. Dabei gab sie Geräusche ab wie ein Mensch, der schwer zu tragen hatte.
Ich zog die Lampe wieder hervor und drehte mich. Nicht die Unterlage hatte die Geräusche abgegeben, sondern die Frau. Sie war aus irgendeinem unerfindlichen Grund aus ihrem Zustand erwacht und hatte sich aufrecht hingesetzt. Der Strahl meiner Lampe schien direkt in ihr Gesicht, das mehr einer fahl angestrichenen Maske glich und kaum etwas Menschliches mehr an sich hatte. Da stand die Gier nach dem Blut eines Menschen wie festgeschrieben. Aus dem Oberkieler schauten die beiden Hauer hervor wie leicht gekrümmte Dolche.
Die Frau griff nach mir, obwohl keine Chance bestand, mich zu erreichen. Es war mehr eine Geste der Verlegenheit, doch ich ergriff die Chance, packte die Hand und zerrte die Person noch auf dem Bett in die Höhe. Dabei erwischte ich sie mit dem Kreuz.
Diesmal zerriß ein fürchterlicher Laut die Stille auf dem engen Speicher. Es war kein normaler Schrei. Dafür Geräusche, die wie Ächzen und Röcheln klangen, die aber vergingen, als die Frau zurücksackte. Der Abdruck des Kreuzes zeichnete sich wie ein Brandmal auf ihrem blassen Gesicht ab.
Das waren zwei gewesen.
Ein Anfang.
Und weiter?
Ich trat bis dicht an die Luke zurück und überlegte. Lange mußte ich nicht nachdenken, um zu einem für mich akzeptablen Ergebnis zu gelangen.
Es war gut vorstellbar, daß ich mit der Vernichtung dieser beiden Blutsauger erst einen Anfang gemacht hatte. Es gab noch mehrere Häuser. So konnte ich davon ausgehen, daß sich auch dort Vampire versteckt hielten, die tagsüber schliefen und erst in der
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