Der Blut-Mythos
Nacht erwachten, um die Dunkelheit für ihre Beutezüge zu nutzen.
Aber wer hatte sie zu Blutsaugern gemacht?
Die Frage stand wie mit großen Blockbuchstaben geschrieben in meiner geistigen Vorstellung. Da gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Chronos oder Dracula II, wobei ich persönlich mehr auf den Super-Vampir tippte.
Er konnte sich in dieser Zeit durchaus einen Stützpunkt geschaffen haben. Oder er hatte ihn Chronos weggenommen, um ihn zu demütigen. Wie das Spiel hier genau lief, war nicht zu ersehen. Zudem standen wir am Anfang. Doch die Spur hatte ich aufnehmen können.
Zwei normal Tote blieben zurück, als ich wieder nach unten kletterte. Es war still. Nur das Summen der dicken Fliegen störte mich. Sie würden von den beiden Leichen angezogen werden wie die Mücken von einem Gewässer.
Zu hören war nichts.
Eine schon drückende Stille umgab mich. Auch Marita hatte das Haus nicht betreten und war draußen geblieben. Jetzt fand ich die Idee gar nicht so gut, sie im Freien zu lassen. Im Gegensatz zu mir konnte sie sich kaum wehren.
Mit eingezogenem Kopf ging ich auf die Tür zu. Ich hatte sie bewußt nicht geschlossen. Mein Blick fiel auf die Straße, wo Marita eigentlich hätte warten müssen.
Sie war nicht da.
Ich sah sie auch nicht, als ich die Tür so weit wie möglich aufzerrte. Vor mir lag die staubige Straße, umrahmt von diesen kleinen Häusern, die dicht zusammenstanden, als wollten sie sich gegenseitig vor Gefahren schützen.
Warum war Marita verschwunden? Hatte sie es freiwillig getan, oder war sie geholt worden?
Chronos und Dracula II fielen mir ein. Aber auch andere Vampire, die sich möglicherweise hier im Ort aufhielten. Es war müßig, über die verschiedenen Dinge nachzudenken. Es würde, und es mußte weitergehen, und ich wollte die Dinge beschleunigen.
Erst einmal war es wichtig, Marita zu finden. Ihren Namen rief ich nicht, sondern ging langsam die von Sonnenglut überflutete Straße entlang. Es war kein Vampir zu sehen, und auch hinter den Fenstern der Häuser entdeckte ich nichts.
Je weiter ich ging, um so mehr keimte in mir der Verdacht hoch, einen Fehler begangen zu haben. Ich hätte besser auf Marita achtgeben müssen. Die Vorstellung, sie als Vampir oder mit abgetrenntem Kopf zu finden, ließ einen Eisschauer über meine Rücken hinweggleiten. Der sich noch verstärkte, als ich hinter mir eine hämische Stimme hörte, die von einem Lachen begleitet wurde.
»Willkommen an der Schwelle des Todes, John Sinclair!«
Ich wirbelte herum, denn ich hatte die Stimme erkannt. Sie gehörte Will Mallmann. Er stand mitten auf der Straße. Nur war er nicht allein.
Als Geisel diente ihm Marita, und seine bösartigen Vampirzähne lagen verflucht dicht an ihrer Halsschlagader…
***
Der Rummel lief auf Hochtouren!
Am Abend hatte das Publikum gewechselt. Die Eltern waren mit ihren Kindern verschwunden und überließen den Jahrmarkt Singles und Cliquen von Jugendlichen und Erwachsenen.
Der Staub wehte wie eine nie abreißende Decke über den Platz hinweg. Die Sonne war verschwunden, die Hitze hatte sich jedoch nicht zurückgezogen. Sie drückte, sorgte für Schweißausbrüche, folglich für den großen Durst, der an den zahlreichen Bier- und Getränkeständen gelöscht werden mußte. Sie waren umlagert. An manchen standen die Menschen in Zweier- und sogar Dreierreihen.
Die Karussells und Fahrgeschäfte liefen ohne Pause. Musikfetzen schwebten über allem hinweg. Da vermischten sich bekannte Musical-Melodien mit denen irgendwelcher Schlager und Rhythmen aus der Techno-Szene. Keine Ruhe, nur Trubel, Lachen, Geschrei und Hektik.
Ganze Cliquen wanderten über das Gelände, füllten die Gassen zwischen den Fahrgeschäften aus. Bierdosen wurden geschwenkt, verschwitzte Gesichter, grölende Angeber, die ihren Mädchen imponieren wollten. An den Eßständen zischte und dampfte es, und der nicht abreißende Geruch begleitete den ebenfalls nicht abreißenden Staub wie einen großen Bruder.
Es war eine Welt, in der sich Shao und Suko nicht wohl fühlten. Die sie aber wohl oder übel durchqueren mußten, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Sie hielten sich dicht zusammen, ließen sich von irgendwelcher Anmache nicht provozieren und waren froh, die geheimnisvoll beleuchtete Geisterbahn zu sehen. Sie präsentierte sich mit ihrer breiten Front, die in der oberen Hälfte mit Monstren und anderen teuflischen Wesen bemalt war. Ein großer Teufelskopf nickte den Betrachtern permanent zu, als wollte er
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