Der Blutfluch: Roman (German Edition)
dazu verurteilt, zum Zeichen ihrer Schande mit einem Hund auf den Schultern an ihm vorbeizuziehen. Die spektakuläre Demütigung spukte noch heute durch alle Köpfe, wenn der Kaiser Gericht hielt.
Rupert teilte einem der Schreiber seine Bitte um Gehör mit und wurde belehrt, dass er zu warten habe, bis man ihn vor den Kaiser riefe. Da eine knifflige Erbstreitigkeit zwischen Heinrich dem Löwen und dem Bischof von Freising anstand, die so kurz nach dem
Privilegium Minus
von Regensburg von besonderer Brisanz war, herrschte erhebliches Gedränge in der großen Halle. Er hatte Mühe, einen Platz zu finden und zu behaupten, von dem aus er alles sehen und hören konnte. Bewusst hielt er sich von den Zähringern fern, während er die imposante Zurschaustellung von Macht und Gesetz würdigte, die sich ihm bot.
Kaiser und Königin thronten auf burgunderrot gepolsterten Thronsesseln an der Stirnseite der Halle. Mönche, Rechtsgelehrte und Kirchenfürsten quetschten sich auf die wenigen Bänke zu ihren Seiten. Geringere Ränge mussten stehen. Schreiber hielten sich mit Federn, Siegelwachs und Pergamenten bereit, um unverzüglich die entsprechenden Urkunden auszufertigen, sobald ein Urteil gefällt worden war.
Kronleuchter in der Größe von Wagenrädern, auf deren geschmiedeten Reifen unzählige Öllichter flackerten, hingen an eisernen Ketten von den Decken herab. Durch die rundbogigen Doppelfenster floss zudem das Tageslicht.
Bis auf die standhaftesten Kirchenfürsten gab es wohl kaum einen Mann in der Halle, der nicht die strahlende Schönheit der Königin bewunderte. Rupert kam es vor, als habe sie sich mit ihrer Erscheinung heute besondere Mühe gegeben. Würdevoll, majestätisch, konnte niemand mehr sie länger für ein Kind halten.
Beatrix’ schweifender Blick streifte den seinen, stutzte kurz und glitt weiter, ehe er darauf reagieren konnte. Hätte er sie mit einem Nicken beruhigen sollen? Zu spät. Sie gab sich kein zweites Mal die Blöße, ihn zu bemerken. Ihre Beherrschung war ebenso bewundernswert wie ihre Erscheinung.
Unwillkürlich verglich er sie mit Clementia, die sich an der Seite ihres Mannes angeregt mit dem Erzkanzler unterhielt. Niemand wäre auf den Gedanken verfallen, sie zu bewundern. Zu hochmütig und eisig, hielt ihre Miene jedermann auf Abstand.
Ein Anflug von Bedauern überkam Rupert, der bisher erfolgreich den Gedanken an ihre Reaktion auf das Kommende verdrängt hatte. Sie würde nicht verstehen, was ihn bewegte. Sie mochte Alizas Begabungen bewundert haben; da Aliza ihr aber nicht mehr zu Diensten sein konnte, hatte sie sie vergessen.
Im Verlauf des Tages lernte Rupert mehr und mehr das methodische Vorgehen Barbarossas bei der Rechtsprechung kennen und bewundern. Stets realistisch, diplomatisch, wo nötig, hart, wo unumgänglich, war sein Ziel, das eigene Kronland zu stärken, in dem er ohne die Einmischung von Fürsten und Mittelsmännern bestimmen konnte, besonders wenn es um die Regelung von Gebietsstreitigkeiten ging. Die Wahrung des Landfriedens stand dabei an erster Stelle.
Sein Richterspruch für oder gegen ihn würde sich an diesen Maßstäben orientieren. Ihm wurde bewusst, dass es in seinen Augen keinen Nutzen brachte, den einen oder den anderen mit einer Niederlage nur demütigen zu wollen.
»Rupert von Urach, Lehnsmann des Berthold von Zähringen, erbittet die kaiserliche Gerechtigkeit für eine unschuldig Angeklagte.«
Alle wandten sich ihm neugierig zu.
Eine Gasse tat sich auf, durch die er vor den Thron treten und sein Anliegen vortragen konnte. Er wandte sich als freier Mann an den Herrscher, nicht als Vasall des Zähringers. Die Tunika aus braunem Wollstoff, die weder Schmuck noch Wappen trug, gab das zu erkennen. Eindringlich lagen die Augen des Kaisers auf ihm.
»Sprecht, von Urach«, forderte er ihn auf. »Wenn einem Unserer Untertanen unschuldig Unrecht widerfahren ist, so ist es Uns ein Anliegen, dies zu ahnden. Nennt Uns seinen Namen und sagt Uns, wessen man ihn beschuldigt.«
»Es ist eine Frau, mein Kaiser«, antwortete Rupert. »Man hat sie genötigt, Euren Gegnern als Spionin zu Diensten zu sein, indem man ihre Familie und ihre Gefährten als Geiseln nahm und damit ihren Gehorsam erzwang. Jeder Widerstand wurde erstickt, jede Aufsässigkeit damit geahndet, dass Unschuldige dafür ihr Leben lassen mussten.«
»Ihr erhebt schwere Vorwürfe. Könnt Ihr sie beweisen? Wer ist die Frau?«
»Ihr Name ist Aliza und sie gehört dem Stamme der Tamara an. Seine
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