Der Blutfluch: Roman (German Edition)
halb geschlossen, lauschte Tibo bewegungslos. Hager wie er war, warnten seine Muskeln doch davor, ihn zu unterschätzen. Zwischen Haarsträhnen und einem Schnauzbart mit hängenden Enden stach seine Nase messerscharf hervor. Was von seinem Blick zu erkennen war, glitzerte bedrohlich. In der Schärpe um seine Hüften staken sowohl Messer wie Peitsche und Schleuder.
Rupert stufte ihn unverzüglich als den Anführer und den Gefährlichsten von allen ein. Schon ehe sein Gesichtsausdruck plötzlich die Bereitschaft zu töten erkennen ließ, schloss sich seine Hand um das Schwert. Er bedeutete den Kriegsknechten, sich bereitzuhalten. Dieser Mann verhandelte nicht. Ehe er sich in die Ecke drängen ließ, würde er kämpfen.
»Es sind
eure
Männer, die in
unser
Lager drängen«, gab Tibo zurück. »Wir laden niemanden ein zu unseren Tänzen, aber hindern auch keine Zuschauer. Jeder kann frei entscheiden, ob er zusehen will. Und wir vertreiben keinen Fremden von unseren Feuern. Wir ehren das Gesetz der Gastfreundschaft.«
»Ihr maßt euch Hausrecht auf dem Land des Bischofs von Regensburg an. Auf diesem Boden gelten sein Wort und die Gebote der Heiligen Mutter Kirche. Er bestimmt hier die Gesetze der Gastfreundschaft.«
Rupert behielt derweil die Menschen am Feuer im Auge. Ihre Kleider bestanden aus geflickten Lumpen, bis auf den Anführer und ein paar Männer trug niemand Schuhe. Entsetzt entdeckte er zwei Frauen, die in aller Öffentlichkeit ihren Kindern die Brust gaben. Ihnen fehlte es zusätzlich an Schamgefühl. Eine der Mütter spürte seinen Blick und funkelte ihn herausfordernd an. Beschämt wandte er sich ab. Er suchte nach Aliza.
Bei seiner Schwertleite hatte Rupert geschworen, Witwen und Waisen zu verteidigen, Schutzlosen beizustehen und Gerechtigkeit zu üben an den Armen in ihrer Not. Aliza und die Ihren waren arm. Sie waren in Not und sie benötigten Schutz vor Willkür und Gewalt. Er müsste auf ihrer Seite stehen und nicht hinter denen, die sich für Berthold und seine Zwecke missbrauchen ließen. Er fühlte sich grässlich, die Hand am Schwert wurde taub.
»Dies ist ein freier Anger, der keinem Marktrecht unterliegt. In unserer Gemeinschaft leben wir nach unseren Gesetzen. Wer unser Dorf betritt, muss sich nach uns richten.«
Die Hand herausfordernd in der Nähe des Messers an seiner Schärpe, forderte Tibo Wolf so zornig heraus, dass Rupert sich fragte, ob er wusste, was er tat.
Stolz war die stärkste Waffe dieser Menschen, das war nicht zu verkennen. Sogar Wolf beeindruckte die Haltung des Anführers, der unabhängig von seiner Erscheinung für die Menschen eintrat, die ihm vertrauten. Rupert schien, dass auch Wolf ihren Auftrag zunehmend verabscheute.
Die beiden Mönche hingegen fühlten keinerlei Zweifel an der eigenen Rechtschaffenheit. Sie wandten sich den Frauen und Kindern am Feuer zu. Das Gewimmel von Alt und Jung, Mensch und Tier war auf den ersten Blick so verwirrend, dass Rupert nicht sofort bemerkte, wen sie dort ins Auge gefasst hatten. Dann freilich sah er in der ersten Reihe die schwarzhaarige Tänzerin, deren Wangen keine dunklen Zeichen entstellten. Ihre Brüste, ohnehin halb entblößt, hoben sich unter heftigen Atemzügen in der offenen Bluse. Für die Klosterbrüder verkörperte sie wahrscheinlich die Sünde schlechthin.
»Wartet!«
Ruperts Ruf wurde von Sizmas Schmerzensschrei übertönt. Von den Mönchen aus der Gruppe gerissen, trat und kreischte sie wie eine Wilde. Erst als ihr die Brüder die Arme schmerzhaft auf den Rücken drehten, sank sie wimmernd in sich zusammen.
Einen Atemzug lang erstarrte jedermann – dann geschah alles auf einmal. Tibo sprang aus dem Stand die Mönche an. Wolf streckte ihm blitzschnell den Fuß in den Weg und brachte ihn zu Fall. Schwer krachte er zu Boden. Der Schwung trug ihn vor die Füße der Mönche, wo ihm einer der Bewaffneten blitzschnell die Spitze seiner Lanze an den Hals setzte. Blut rann in den Staub.
»Nehmt die Hände von meiner Tochter, ihr Schurken!«, brüllte er dessen ungeachtet.
»Das ist deine Tochter? Wie interessant.«
Im Gerangel war Sizmas Bluse vollends in Fetzen gerissen worden, ihre Brüste lagen bloß und bebten bei jeder Bewegung. Ihr war jedoch weder Scham noch Furcht anzumerken. Sie kratzte, spuckte und biss, wo sich die Möglichkeit dazu ergab. Gemeinsam mit den Kriegsknechten wurden die Mönche ihrer schließlich Herr. Sie kämpfte so geschmeidig, wie sie tanzte.
»Wir nehmen die Wilde zum Pfand,
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