Der Blutfluch: Roman (German Edition)
Stammes zur Frau nehmen. Leena hat dich nur zu sich genommen, weil sie sich an Tibo rächen wollte. Er lebte damals mit Danitza, meiner richtigen Mutter, zusammen.«
Welches Teufelsmal? Ihr Impuls, die Stelle zu berühren, scheiterte an den Fesseln. Bei den Tamara gab es keine Spiegel, wer dem Laster der Eitelkeit frönte und sich selbst bewundern wollte, musste dies in der Reflexion einer Wasserfläche tun oder sich in der Bewunderung der anderen sonnen. Aliza wusste nicht, was sie von Sizmas Behauptung halten sollte.
Allerdings fiel ihr jetzt ein, dass Leena ihr schon als Kind untersagt hatte, mit offenen Haaren den Wagen zu verlassen. Und schon immer trug sie den dicken Zopf und das Kopftuch. Das Haar zu verbergen, das sie von den anderen Frauen unterschied, war ihr zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie hatte es anfangs getan, weil Leena darauf bestand, später, weil sie auf diese Weise mehr wie eine Tamara aussah.
War das, was sie für mütterliche Sorge gehalten hatte, in Wirklichkeit der Versuch, das Mal zu verdecken? Großmutter Rupa war eine unbestechliche und weise Frau, die mehr als andere wusste. Was hatte sie Sizma tatsächlich erzählt? Und was verbarg Leena noch immer vor ihr?
Eine schwarze Krähe war auf dem Fenstersims unter dem halbrunden Steinbogen gelandet und tappte wippend auf und ab.
»Der Todesvogel. Da ist er schon.« Mit Wangen, so bleich wie die Mauern der Kammer, zerrte Sizma jetzt fieberhaft an ihrer Fessel. »Großmutter hat es in den Karten gelesen. Du bringst unserer Sippe den Tod.«
Nur mit Mühe bewahrte Aliza die Fassung. Ihr Herz raste und die Kammer verschwamm vor ihren Augen.
Die Krähe blinzelte die Schwestern rundäugig an, ehe sie die Flügel ausbreitete und krächzend das Weite suchte.
Das bedrückende Gefühl, am Ende eines Weges angelangt zu sein, ließ Aliza in sich zusammensinken. War es wirklich erst zwei Tage her, dass sie sich danach gesehnt hatte, hinter festen Mauern zu leben?
Sizma kämpfte indessen mit ihren Fesseln, ohne darauf zu achten, dass sie sich und Aliza die Haut aufriss. Blut rötete die Hanffasern. Da sie insgesamt schmaler und zierlicher als Aliza war, gelang es ihr tatsächlich, unter Mühen ein Handgelenk zu befreien und das andere aus der losen Schlinge zu ziehen. Mit einem Aufschrei riss sie die Hände nach vorn und wischte sich Schmutz und Tränenspuren von den Wangen.
Ohne Sizma ließ die Spannung der Fessel so weit nach, dass auch Aliza das Hanfseil einfach von den Händen streifen konnte. Kraftlos kroch sie näher zur Wand, lehnte sich dagegen, zog die Knie eng an den Oberkörper, schlang die Arme darum und legte den Kopf darauf. Hinter den geschlossenen Augen entstanden Bilder.
Sizma hingegen sprang mit Schwung auf, schüttelte ihre Röcke aus, knotete die zerrissene Bluse über den Brüsten fest und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Von Kopf bis Fuß herausfordernde Weiblichkeit, stemmte sie die Arme in die Hüften.
Aliza sah beunruhigt auf. Genau diese Zuschaustellung hatte der Bischof untersagt.
»Was hast du vor?«
»Ich werde nicht wie ein Opferlamm warten, was passiert. Irgendwann geht die Tür auf und …«
Mit einer schnellen Bewegung hielt sie das Messer in der Hand, das sie seit ihrer Kindheit in der Lederscheide an ihrem Oberschenkel trug. Keiner war auf die Idee gekommen, sie nach einer Waffe zu durchsuchen.
»Du bist wahnsinnig.« Aliza war außer sich. »Du mit einem Messer gegen die Wachen der Burg. Du bist tot, ehe du einen Schritt aus dieser Kammer heraus tust.«
»Das werden wir ja sehen. Ungeschoren fasst mich auf jeden Fall keiner dieser Kerle ein zweites Mal an.«
Sie stand, noch zornig, mit dem Messer in der Hand, als sich die Tür öffnete und Rupert und Berthold einer Edeldame mit deren Magd höflich den Vortritt ließen, weil sie annahmen, zwei Gefesselte vorzufinden. Die stämmige Magd erfasste blitzschnell die Situation, trat schützend vor ihre Herrin und riss Sizma ohne viel Federlesens die Waffe aus der Hand. Sie schlug ihr hart ins Gesicht.
»Landstreicherpack«, erklärte sie verächtlich, reichte Rupert das Messer und trat wieder zurück, als sei nichts geschehen.
Sizma stand wie erstarrt.
Aliza verbot es sich, Rupert zur Kenntnis zu nehmen. Sie bestaunte, sitzen bleibend, das Gewand der Edeldame. Goldfäden flimmerten in den Borten, der Gürtel war mit Perlen verziert und die üppigen Rockfalten
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