Der Blutfluch: Roman (German Edition)
Kammerfrau auf. »Wenn ich je Dirnengewänder gesehen habe, dann bei euch.«
»Unsere Röcke müssen so weit sein, damit wir laufen, tanzen und auf die Wagen steigen können. Wenn wir den Rock heben, die Beine zeigen oder die Scham, dann drückt das höchste Verachtung aus. Es gibt keine schlimmere Beleidigung für einen Tamaramann. Alles, was mit dem Gebären zu tun hat, vom Monatsblut bis zum Kindbett, muss verborgen werden vor dem Mann.«
»Du meine Güte, welch befremdliche Sitten. Und welche Erklärung gibt es für die tief ausgeschnittenen Kittel?«
»Keine.« Gereizt strich Aliza über den Wollstoff ihres Kleides. Bisher hatte sie die Berührung genossen. Heute kam es ihr vor, als verrate sie alles, was sie bisher für richtig gehalten hatte, wenn sie sich über ein Gewand wie dieses freute. »Unsre Kittel sind einfach praktisch, wenn wir Kinder stillen. Ihr messt den Brüsten eine einseitige Bedeutung zu.«
»Von wegen. Die Männer bekommen beim Anblick eurer nackten Busen Stielaugen und halten euch für wohlfeile Dirnen. Eine anständige Frau trägt keine aufreizenden Gewänder. Sie bedeckt Brüste, Haar und Arme, senkt den Blick, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.«
»Das ist die falsche Lektion, Hildburg.« Clementia war unbemerkt eingetreten. »Was immer die Ägypterin trägt, wenn sie vor dem Kaiser tanzt, es muss seine Begierde wecken.«
Sie kam näher und griff in Alizas Haar wie in einen Korb mit Gänsedaunen. »Goldbänder zwischen die Strähnen, Flitter, wo immer Platz dafür ist.«
Ein überraschender Ruck riss Aliza den Kopf nach hinten und bewies ihr schmerzhaft, dass falscher Stolz auf der Stelle bestraft wurde. Sie grub die Zähne in die Unterlippe. Alles in ihr bäumte sich gegen die Behandlung auf, aber sie ahnte, dass Clementia ihren Gehorsam auf die Probe stellte. Sie hatte ein Gespür dafür, wie man eine Frau demütigte. War ihr Mann ein so guter Lehrmeister?
Ihr Haar wurde unverhofft wieder freigegeben. Fast hätte sie dabei das Gleichgewicht verloren.
»Zeig mir, wie du tanzt.« Clementia schnippte mit den Fingern. »Worauf wartest du?«
Aliza erhob sich, machte aber keine Bewegung.
»Ohne Musik kann man nicht tanzen. Unsere Musikanten liegen im Kerker.«
Auge in Auge standen sich die beiden Frauen gegenüber. Ein Netzwerk beginnender Falten in Clementias Augenwinkeln erzählte von Tränen. Ihr Blick allerdings ruhte kalt und klar auf Aliza.
»Tanz, oder ich schicke diese da zu den Burgwachen, damit sie sich mit ihr vergnügen.« Das Kopfnicken deutete auf Sizma, die sich tiefer in ihre Ecke drückte.
Aliza blieb keine Wahl.
Königin Beatrix
Kreuzhof bei Regensburg, 7. September 1156
O bwohl straff gespannt, blähten sich die Stoffbahnen des riesigen Zeltes wie Segel im Wind. Bänder, Standarten und Fahnen knatterten. Blätter und zertretenes Stroh wurden in Ecken geweht und vom nächsten Sturmstoß neu aufgewirbelt. Immer wieder drückte eine Böe die Vorhänge des Einganges nach innen, und Blätter oder Strohhalme landeten auf dem Teppich. Mit zunehmendem Unbehagen legte Beatrix den Kopf in den Nacken und blickte prüfend zum Stoffdach. Würde es standhalten?
Das ebene Gelände rund um die Kreuzhof-Kirche, den Gutshof und die Scheunen eignete sich zwar bestens für das Lager des Kaisers, aber die freien Fluren boten keinerlei Schutz. Die Zelte waren dem Herbstwind voll ausgeliefert. Allerdings schienen weder die Knechte, die Truhen und Möbel hereintrugen, noch die Frauen Beatrix’ Sorge zu teilen. Scherze flogen hin und her. Sogar Clementia gab sich nicht so streng wie sonst.
Beatrix beschloss, tapfer Ruhe zu bewahren. Vielleicht waren ja die heftigen Windstöße, die die Wolken wie weiße Pferde am Himmel nach Osten jagen ließen, gar keine Boten eines künftigen Unwetters. Sie musste aufhören, sich das Schlimmste auszumalen.
Friedrich hatte das Gelände am Südufer der Donau vor Regensburg zum Lagerplatz gewählt, weil er es kannte. Es lag am Rande der Barbinger Wiesen, wo Heinrich Jasomirgotts Zelte standen. 1147 hatten sich unter Führung Konrads III . die Ritter des Deutschen Reiches rund um das Gotteshaus versammelt, um von hier aus nach Konstantinopel und von dort weiter nach Jerusalem zu ziehen. Friedrich hatte an diesem Kreuzzug teilgenommen. Obwohl Beatrix sich brennend dafür interessierte, was er in Konstantinopel und Jerusalem erlebt hatte, hatte sie ihn aus Scheu, er könne sie für kindisch neugierig halten, nie darauf angesprochen
»Ihr müsst
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