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Der Blutfluch: Roman (German Edition)

Der Blutfluch: Roman (German Edition)

Titel: Der Blutfluch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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Tag der Geburt an steht jede Frau unter der Vormundschaft eines Mannes. Der Vater wählt den Ehemann für die Tochter aus und übergibt sie ihm als ehrenhafte Jungfrau. Danach sorgt der Ehemann für sie, und sie dankt es ihm mit Söhnen und Töchtern, einem wohlgeführten Hausstand, Ehrerbietung und Gehorsam. Nur unter seinem Dach kann sie bestimmen. Weder hat sie das Recht, außerhalb des Hauses die Stimme zu erheben, noch darf sie gegen den Wunsch ihres Mannes handeln. Das gilt für alle Frauen, egal, ob Königin oder Bäuerin, und es wird bei euch nicht anders sein.«
    Selbstgefällig verschränkte Hildburg die Arme über dem mächtigen Busen und sah Aliza erwartungsvoll an.
    »Da täuschst du dich«, antwortete Aliza. »Die Tamara ehren ihre Frauen wegen ihrer besonderen Gaben. In jeder unserer Sippen gibt es zum Beispiel eine
Phuri Dai,
eine weise Frau. Sie wird hoch geachtet. Man lauscht ihr mit Ehrfurcht und fragt sie in allen Dingen von Wichtigkeit um Rat. Die
Phuri Dai
unserer Sippe ist Rupa. Sizmas und meine Großmutter. Die Last, die auf ihren Schultern liegt, ist jetzt unermesslich. Ihr Sohn wurde ermordet, die Schwiegertochter verletzt, die Enkeltöchter entführt. Milosh und Tal sind verschwunden, der Rest des Stammes wird ohne seinen Anführer kopflos und uneinig sein. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf ihr.«
    »Das klingt unbegreiflich.« Hildburg verhehlte nicht ihr Misstrauen. »Tatsache ist jedoch, dass hier die Männer bestimmen. Lassen die Frauen es an Gehorsam, Pflichterfüllung oder Frömmigkeit fehlen, ist es ihr Recht und ihre Pflicht, sie zu strafen, bis sie sich besinnen und bessern. Das gilt auch für Clementia von Zähringen. Sie war noch keine zwölf, als man sie mit Heinrich dem Löwen verheiratete. Ihn gelüstete natürlich nicht nach dem schüchternen Mädchen, sondern nach der Herrschaft über Badenweiler, das seine Braut als Mitgift in die Ehe brachte. Damals wurde ich ihre Kammerfrau. Ich habe ihre Tränen getrocknet, ihr Jungfrauenblut abgewaschen und sie getröstet, wenn das Heimweh nach Zähringen sie verzehren wollte.«
    Alles in Aliza wehrte sich dagegen, Mitgefühl für Clementia zu empfinden.
    »Bei den Tamara wird die Braut schon mit neun oder zehn Jahren dem künftigen Ehemann und seiner Familie übergeben. Je jünger und kindlicher das Mädchen ist, desto besser. Mit jeder Heirat entsteht eine Verbindung zwischen zwei Familien, die dadurch mehr Ansehen im Stammesverbund erreichen können. Die Reinheit und Jungfräulichkeit der Braut bleibt ihr erhalten, bis sie alt und verständig genug ist. Die Mutter des Mannes nimmt sich ihrer an und bringt ihr alles Wichtige bei, damit sie ihrem Sohn später eine gute Frau sein kann.«
    »Der Herzog von Sachsen ist ein schwieriger und ehrgeiziger Mann«, überging Hildburg Alizas Erklärung. »Er hatte weder Zeit noch Verlangen, sich groß um seine kindliche Ehefrau zu kümmern. Einzig das Lager teilte er regelmäßig mit ihr. Erst nach der Geburt eines Sohnes besserte sich ihr Verhältnis. Clementia liebte ihren Sohn über alles. Als er schon im ersten Jahr bei einem Unglück starb, das seine Amme verschuldet hatte, verlor sie fast den Verstand. Danach gebar sie zwei Mädchen. Aber Mädchen zählen nicht. Heinrich will einen Sohn und macht ihr zum Vorwurf, dass sie nur noch Mädchen zur Welt bringt. Er wird erst zufrieden sein, wenn sie wieder einen Erben gebiert. Dass ihr Bruder in dieser schwierigen Lage ebenfalls Forderungen an sie stellt, macht ihr Leben noch komplizierter. Sie darf nichts tun, was Heinrich zusätzlich verärgern könnte. Seine Drohung, sie in ein Kloster abzuschieben, schwebt jederzeit über ihr.«
    »Und warum geht sie nicht einfach in ein Kloster?«
    »Das geht gegen die Familienehre. Es fiele auf ihren Bruder und die Zähringer zurück, wenn der Herzog von Sachsen seine Ehefrau verstößt.«
    »Außerdem wäre wahrscheinlich die Mitgift gefährdet, um die es ja ging«, fügte Aliza an. »Man muss sich wohl wirklich das Herz aus der Brust reißen, um als Herzogin leben zu können.«
    »Genug geplaudert.«
    Das Gespräch lief in die falsche Richtung und Hildburg kam zur Sache. »Wie versucht ihr die Aufmerksamkeit der Männer auf euch zu ziehen? In den Hüften wiegen, die Röcke schwenken, Busen und Beine zeigen oder …?«
    »Wir sind doch keine Dirnen.«
    »Ach ja? Ihr tragt Röcke, die bei jedem Schritt schwingen. Blusen, offen wie Scheunentore und Fransentücher, die mehr zeigen als verbergen«, zählte die

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