Der Blutfluch: Roman (German Edition)
Faust eine Erkundung der Pfalz.
Die Stiege endete vor dem Eingang zum Küchengewölbe, das sich zu ebener Erde, im Verein mit den Vorratsräumen, unter den Staatsgemächern des ersten Stockes erstreckte.
Von Mauern umgeben, lag ein belebter, rechteckiger Hof mit Ziehbrunnen, Backhaus und anderen Wirtschaftsgebäuden im späten Nachmittagslicht.
Eingedenk Beatrix’ Worten, kehrte Aliza dem Palas den Rücken und schlenderte am Ziehbrunnen vorbei auf einen Torbogen zu, der in den nächsten Hof führte. Hier befanden sich Ställe, Werkstätten und die Quartiere der Kriegsknechte. Je weiter sie kam, umso bescheidener wurden die Behausungen. Die Leibeigenen von Villa Lutra lebten in Hütten, und sogar eine Reihe bunter Flickenzelte war in einer schützenden Mauerecke um ein offenes Feuer gruppiert. Männerlachen und Frauenkreischen bezeugten, dass dort die Trossdirnen ihrer Arbeit nachgingen.
Das tief herabgezogene Dach einer leeren Schmiedewerkstatt barg die Wärme des Feuers, und Aliza blieb darunter stehen. Der Schmied hatte sein Tagwerk beendet. Die Esse glühte nur noch leicht, aber das Mauerwerk in ihrem Rücken war angenehm durchwärmt. Sie lehnte sich gegen die gekalkte Wand.
Von irgendwoher vernahm sie Geräusche. Ehe sie erfasste, was sie zu bedeuten hatten, trat der Schmied bereits ins Freie, schneuzte sich auf die Erde und richtete seine Beinkleider. Hinter ihm huschte die Hure heraus, die ihm zu Diensten gewesen war. Geschmeidig. Wildes Haar. Zerlumpter Kittel. Aliza wollte es nicht glauben.
»Sizma!«
Mit einem Aufschrei wirbelte die Angesprochene herum. Wortlos fixierten sie sich.
Dunkle Schatten lagen um Sizmas Augen. Scharf stachen die Wangenbögen hervor, die Lippen waren aufgesprungen. Eine kaum verheilte Narbe zog sich über Schläfe und Wange, teilte die Braue und zog das ohnehin fremde Gesicht auch noch in groteske Hälften. Ein Schmutzrand lief um den Hals. Ihre Brüste, von roten Malen und Kratzern entstellt, hingen halb aus dem Kittel.
»Sizma, was ist geschehen?«
Aliza lief auf die Schwester zu und legte die Arme um sie. Sie strich ihr das verfilzte Haar aus der Stirn und berührte sanft die unversehrte Wange.
»Ich danke dem Himmel, dass du lebst.«
»Dafür dankst du? Dankst du nicht eher dafür, dass ich im Elend lebe und du im Luxus?«
Sizma stippte verächtlich mit dem Finger gegen Alizas Umhang aus dicht gewebter Wolle. »Hoffentlich hast du dein feines Leben wenigstens genossen, denn damit wird es nun bald vorbei sein.«
Feindseligkeit, schlimmer als je zuvor, schlug ihr entgegen.
Aliza biss sich erschüttert auf die Unterlippe. Sie versuchte Streit zu vermeiden. Sie hatten doch nur noch sich.
»Was ist in Donaustauf geschehen, Sizma? Bei der Liebe Gottes, wenn du es weißt, sag es mir.«
»Was in Donaustauf geschehen ist, das fragst du? Du hast uns verraten, deinetwegen mussten alle sterben. Weil du sie verraten hast.«
»Was hätte ich denn verraten sollen? Und wem? Alles hätte ich getan, sie zu retten, das weißt du genau!«
»Hinterher lässt sich das leicht behaupten.«
»Ich muss nichts behaupten. Ich sage die Wahrheit. Vergiss deinen Groll gegen mich. Leena ist in meinen Armen gestorben. Lass uns ihr zuliebe wieder Schwestern sein.«
Sizmas Lachen schallte grell und hässlich über den Hof.
»Ihr zuliebe? Ihr zuliebe sollst du büßen, Aliza! Weißt du, dass ich zusehen musste, wie sie umgebracht wurden? Mit dem Messer am Gesicht wurde ich dazu gezwungen.« Sie wies auf die Narbe. »Danach musste ich meinem Peiniger zu Diensten sein, auf jede Art, die ein krankes Männergehirn ersinnen kann. Als ich keine Tränen mehr hatte und keinen Schmerz mehr spürte, hat er mich an die Trosshuren verkauft, weil es ihm kein Vergnügen mehr machte, mich zu quälen. Aber bei jedem Kerl, jedem Schlag und jedem Tropfen Blut hab ich mir geschworen, dass du mir dafür büßen wirst.«
Fassungslos musste Aliza hören, wie Sizma gefoltert worden war.
»Wer ist der Kerl, der dir das angetan hat? Seinen Namen will ich von dir hören.«
Sizma packte Aliza grob am Handgelenk und zerrte sie in die Mitte des Hofes. Dort, unweit der Hurenzelte, blieb sie stehen und deutete auf den Palas, dessen Giebel sich über den Mauern und gegen den Sonnenuntergang abzeichneten. Hinter den gewölbten Fenstern des großen Kaisersaales leuchtete das Licht unzähliger Fackeln und Kerzen.
»Dort oben ist er, unter deinen Freunden«, zischte sie und grub die Fingernägel in Alizas Haut, dass sie vor
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