Der Blutkelch
heranziehen.«
Fidelma wandte sich behutsam an den Burschen, der sichtlich unter Schock stand. »Du sagst, ein Schwert streckte den Bibliothekar zu Boden? Wie konnte das geschehen?«
Cunán fasste sich an die Stirn, wie um sich zu konzentrieren.
»Wir arbeiteten in der Schreibwerkstatt der Bibliothek. Ich roch plötzlich Rauch und hörte das Knistern von Flammen, schlug Alarm und rannte zu Dubhagan …«
»Wo hielt sich der auf?«
»Im Turm in seiner Kammer.«
»Kannst du mir bitte sagen, wo du zuerst warst, damit ich den Hergang der Dinge besser nachvollziehen kann?«
»Wir waren zwölf, die in der
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saßen und arbeiteten. Die Schreiber haben ihre Plätze in der Haupthalle. Wir fertigen Abschriften von Texten an, die dann an die Bibliotheken gehen, die sie in Auftrag gegeben haben. Wir saßen also an dem einen Ende des Hauptgebäudes. Am anderen Ende befindet sich der Turm. Dort hatte Dubhagan seinen Arbeitsplatz, und dort wurden auch immer die besonders kostbaren Schriften aufbewahrt.«
»Ich verstehe. Du hast also Rauch gerochen und Alarm geschlagen – das war in der Hauptbibliothek. Richtig? Dann bist du losgerannt, um nach Dubhagan zu schauen.«
»Ich bin in seine Kammer gestürzt, ließ alle Regeln des Anstands außer Acht. Die Bücher und Manuskripte brannten da schon, der Qualm brachte einen fast zum Ersticken, und unser Bibliothekar lag am Boden, mit dem Gesicht nach unten. Er war bereits tot, blutete aber noch aus zwei Wunden in der Brust und am Hals. Obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, packte ich ihn an den Handgelenken und zerrte ihn aus dem Gebäude.«
Cunán hielt inne, fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und blickte auf den Leichnam.
»Als ich wieder zurückkehrte, hatten die Flammen schon die Oberhand gewonnen. Sie griffen vom Turm auf den Hauptsaal über. Einer der Schreiber läutete Alarm, und Leute kamen zur Hilfe. Aber die Flammen, sie waren einfach zu stark. Sie machten sich über die Bücher her, und die brannten lichterloh. Wir bildeten Menschenketten, versuchten, die Bücher ins Freie zu schaffen. Andere bildeten Ketten, umdas Feuer mit Wasser zu löschen, aber wir konnten kaum etwas retten. Bücher von unschätzbarem Wert … alle vernichtet … unersetzbar!« Ein verzweifeltes Schluchzen überwältigte ihn.
Fidelma musste trotzdem weiter in ihn dringen.
»Heißt das, dass das Feuer von Dubhagans Studierstube ausging? Dass man ihn erst umbrachte und dann das Feuer legte?«
Ehe sein Sohn antworten konnte, meldete sich Cumscrad mit finsterer Miene zu Wort. »Genau so habe ich es verstanden. Und wir haben sogar die Schuldigen fortreiten sehen … die Uí Liatháin!«
Fidelma überging seinen Einwurf und sah weiterhin den jungen Mann an. Sie wollte eine Antwort aus seinem Munde. Er nickte und bestätigte: »Ja, so war es.«
»Einen Täter oder mehrere hast du nicht gesehen, als du zu Dubhagan liefst?«
»Nein.«
»Aber ich habe sie gesehen«, erschallte eine Stimme aus der Menge. Ein schmächtiger Mann drängte sich nach vorn. »Unser Stammesfürst hat recht. Ich habe sie an dem Banner erkannt, das einer von ihnen trug. Es war der Kopf des grauen Fuchses, das Symbol der Uí Liatháin.«
»Wie konntet ihr sie gewähren lassen?«, wütete Cumscrad. »War keiner von euch Manns genug, in meiner Abwesenheit Schild und Schwert zu ergreifen? Wer hat es zugelassen, dass die Räuber in die Bibliothek eindringen konnten? Warum hat ihnen niemand Einhalt geboten?«
Ein kräftiger Mann, hochrot im Gesicht, bahnte sich den Weg zu Cumscrad und erklärte, was geschehen war.
»Sie kamen für jeden sichtbar angeritten. Wir dachten, sie kämen in friedlicher Absicht, denn ihre Schwerter stecktenin den Scheiden, und ihr Auftreten war alles andere als kriegerisch. Ihr Anführer verkündete lauthals, sie wollten mit Dubhagan sprechen.«
»Und was geschah dann?«, fragte Fidelma, ehe Cumscrad etwas sagen konnte.
»Zwei von ihnen saßen ab und betraten den Turm der Bibliothek. Die anderen blieben draußen. Wir argwöhnten nichts Böses, bis wir Rufe hörten, Brandgeruch wahrnahmen und fast im selben Moment die Flammen sahen. Die beiden, die hineingegangen waren, kamen mit gezückten Schwertern wieder raus, schwangen sich auf die Pferde, und ehe wir begriffen, was da vorging, galoppierten alle zusammen los in den Wald.«
»Nicht alle.« Es war der schmächtige Mann, der sprach. »Ich reparierte gerade meinen Bogen, als sie losritten, und es gelang mir, auf einen von
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