Der Blutkelch
musst, aber sie wird kommen, und die ganze Geschichte wird sich klären. Es wird ein Urteil zu den Spannungen zwischen euren beiden Völkern geben. Mir wird immer deutlicher, dass das Urteil, das es zu fällen gilt, weitaus umfassender ist; euer Konflikt spielt da nur eine untergeordnete, wenn auch wichtige Rolle. Ich sollte nur vom Wesentlichen abgelenkt werden.«
KAPITEL 17
Bruder Echen, der Stallwart, nahm sie in Empfang, als sie tags darauf früh am Morgen durch die Tore der Abtei Lios Mór ritten. Sie hatten die Nacht in der Herberge am Abh Beag verbracht, wo sie Uallachán und seine Gefährten zurückgelassen hatten, die dort warten sollten, bis Fidelma Uallachán holen ließ. Gormán hatte sie nach Fear Maighe geschickt, um Cumscrad zu einem ähnlichen Verhalten aufzufordern. Bruder Echen kam ihnen sichtlich erregt entgegen, half ihnen beim Absitzen und überschlug sich fast beim Reden.
»Glassán, der Baumeister, wurde ermordet, Schwester.«
»Wann?«
»Man hat die Leiche eben erst gefunden.«
»Wie wurde er umgebracht und wo?«, fragte Eadulf.
»Auf dem Baugelände, wo auch sonst. Der Junge, sein Pflegesohn, hat ihn entdeckt; die Bauarbeiter kamen gerade und wollten mit der Arbeit beginnen.«
Noch ehe sie Echen weitere Fragen stellen konnten, hörten sie vom Innenhof her Fidelmas Namen rufen. Sie drehten sich um und sahen Bruder Lugna auf sie zukommen. Sie überließen ihre Pferde Bruder Echen und gingen dem Verwalter entgegen.
»Ich nehme an, Bruder Echen hat euch schon unterrichtet«,war das Erste, was Bruder Lugna sagte. Seine Miene verriet keinerlei Erregung.
»Hat er. Wie ist es geschehen?«
»Ein Unfall. Ein Stein muss sich gelöst und ihn erschlagen haben.«
»Die Unfälle auf der Baustelle hier scheinen sich zu häufen«, bemerkte Eadulf trocken.
»Solche Dinge passieren eben«, entgegnete der Verwalter kurz angebunden. »Der Arzt sagt, ein Felsblock hätte ungesichert auf der Mauer gelegen und sei auf ihn herabgefallen.«
»Gehen wir zu der Unfallstelle und schauen sie uns an.« Fidelma bewegte sich bereits auf das halbfertige Gebäude zu. »Ist alles unberührt geblieben?«
»Der Arzt untersucht gerade den Leichnam.«
Abt Iarnla, Bruder Seachlann und Saor, Zimmermann und rechte Hand des Baumeisters, standen um die Leiche herum, die nahe einer Mauer am Ort des Geschehens lag.
Abt Iarnla blickte erleichtert auf, als er sie kommen sah.
»Gott sei Dank, dass ihr wieder da seid«, begrüßte er sie. »Wie ihr seht, hat uns eine weitere Tragödie ereilt.«
Die Herumstehenden traten einen Schritt zurück, um Fidelma näher heran zu lassen. Unter einem kleinen Torbogen lag der tote Baumeister auf dem Rücken. In unmittelbarer Nähe befanden sich große, bereits behauene Steinblöcke. Ringsherum waren ein paar Blutspritzer zu sehen, auf dem Gesicht und dem Körper des Toten waren jedoch keine.
»Man hat ihn bereits bewegt«, sagte Eadulf. Es war eine sachliche Feststellung.
»Er lag mit dem Gesicht nach unten«, bestätigte Bruder Seachlann. »Ein schwerer Stein hat ihm den Hinterkopf zerschmettert. Ich habe ihn umgedreht, um das Ausmaß derVerletzungen festzustellen, er hätte ja auch vorn welche haben können.«
»Und was für Verletzungen hat er?«
»Nur die am Hinterkopf. So, wie die aussieht, wird er gar nicht begriffen haben, wie ihm geschah.«
»Eine traurige Sache«, äußerte Saor. »Doch der Hergang scheint eindeutig. Glassán kam am frühen Morgen her, um sich ein Bild zu machen, wie weit die Arbeiten am Vortag gediehen waren, und als er an der Mauer vorbeiging, hat sich ein lockerer Block gelöst und ist auf ihn gestürzt.« Er wies zur erst halbhohen Mauer, auf der etliche bearbeitete Steine unsachgemäß lagerten. »Solche Unfälle passieren manchmal.«
»Manchmal?«, fragte Eadulf zynisch und beugte sich zu dem Leichnam, um gleich darauf zum Arzt aufzublicken. »Mit deiner Erlaubnis, Bruder Seachlann?«
»Von mir aus«, meinte der achselzuckend, »ich habe meine Untersuchung abgeschlossen.«
Eadulf drehte den Toten wieder um, sodass er mit dem Gesicht nach unten lag, und betrachtete eingehend den Schädel. Alle konnten die Verletzung am Hinterkopf sehen. Darüber, wie der Baumeister zu Tode gekommen war, gab es keinen Zweifel. Fidelma hatte den Eindruck, Eadulf prüfte die Verletzung ungewöhnlich lange. Dann endlich stand er auf. Seinem Gesichtsausdruck entnahm sie sofort, dass ihm etwas Sonderbares aufgefallen war.
»Kann ich den Leichnam jetzt fortschaffen?«,
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