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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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jemand, der dein Pflegevater ist?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Es war einfach so. Glassán hat mich immer wie einen seiner Arbeiter behandelt und hat mir gesagt, was ich zu tun habe. Was ich gelernt habe, haben mir die anderen beigebracht, wenn sie Zeit dafür hatten.«
    Um Fidelmas Mundwinkel zuckte es. So war eine Pflegschaft nicht gedacht. Normalerweise wurde das Pflegekind in die Familie aufgenommen, wohnte, aß und schlief mit ihr wie jedes andere Familienmitglied und erfuhr auch von ihr seine Ausbildung. Augenscheinlich hatte Glassán den Jungen als eine Arbeitskraft wie jede andere betrachtet, von ihm erwartet, dass er sein Tagwerk ordentlich verrichtete und von seinem Vater, dass er für seine Ausbildung zahlte.
    »Du bist bei Tagesanbruch zur Abtei gekommen. Hat sich da sonst schon jemand hier zu schaffen gemacht?«
    »Bruder Echen war bereits im Gange, er säuberte die Ställe. Er ist immer als Erster auf und öffnet auch die Tore zur Abtei. Zur gleichen Zeit mit mir betrat der hässliche Bruder das Gelände.«
    »Der hässliche Bruder?«
    »Er heißt so ähnlich wie ›Wind‹.«
    Fidelma krauste die Stirn.
    »Er meint Bruder Gáeth«, half Bruder Donnán ein. Fidelma musste schmunzeln, als ihr der Zusammenhang aufging. Der Name Gáeth bedeutete so viel wie »klug« oder »weise«,
gáith
hingegen »Wind«.
    »Sonst noch jemand, den du gesehen hast?«
    »Der Verwalter ging über den Innenhof.«
    »Bruder Lugna?«
    »Ich mag ihn nicht«, bekannte der Junge. »Ich glaube, er mich auch nicht.«
    Fast hätte Fidelma ihm laut beigepflichtet, dass der Verwalter kein Mensch war, den man mögen konnte, behielt es aber für sich.
    »Hat er irgendetwas zu dir gesagt?«
    »Er spricht nie mit mir.«
    »Und was passierte dann?«
    »Ich ging dorthin, wo wir gerade arbeiten, um dafür zu sorgen, dass alle Werkzeuge bereitlagen, wenn die Männer zur Arbeit kamen. Und da sah ich Glassán liegen. Man konnte ihn gar nicht übersehen, wenn man ins Gebäude wollte. Er war tot, das war mir sofort klar. Sein Hinterkopf …«
    »Schon gut, wir wissen Bescheid. Versuch, nicht daran zu denken. Was hast du dann gemacht?«
    »Ich wusste, wo der Arzt arbeitet, das war nicht weit. Ich rannte sofort hin und beschwor ihn, mitzukommen und sichGlassán anzusehen. Er fragte mich, was denn los sei, und ich sagte es ihm.«
    »Bruder Seachlann war so früh schon dort?«
    »Er war bei der Arbeit, in dem kleinen Raum, wo auch die Männer manchmal hingehen und sich behandeln lassen, wenn sie sich auf der Baustelle verletzt haben. Man tut sich da schon leicht mal was.«
    »Ich verstehe. Du erzähltest ihm also, was geschehen war. Was dann?«
    »Als wir rauskamen, ging gerade einer der Brüder vorbei. Der Arzt rief ihn an und bat ihn, den Verwalter zu suchen, es hätte einen Unfall gegeben und Glassán wäre ernstlich verletzt. Dabei hatte ich ihm schon gesagt, dass er tot war. So klein bin ich nun auch nicht mehr, dass ich nicht wüsste, wie es aussieht, wenn einer tot ist.«
    »Bruder Seachlann ist mit dir zusammen zu dem Leichnam gegangen?«
    Der Junge nickte.
    »Und weiter?«
    »Er stellte Glassáns Tod fest, und dann kamen auch schon der Verwalter und der Abt. Saor tauchte als Nächster auf, und er meinte, man solle mich zu Bruder Donnán bringen, während sie sich der Sache weiter annehmen wollten. Auf dem Weg zur Bibliothek hab ich dann dich und Bruder Eadulf durch das Tor reiten sehen.« Er machte eine Pause. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, Schwester. Da Glassán nun nicht mehr ist und ich weit weg von zu Hause bin, weiß ich einfach nicht, was ich tun soll.«
    Fidelma tätschelte dem Jungen tröstend den Arm.
    »Ich hab dir doch schon gesagt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Weißt du, wer Glassáns nächster Verwandter ist?«
    Gúasach verneinte.
    »Als du noch in eurem Land lebtest, dort, wo auch Glassán wohnte, ehe er hierherkam, um für die Abtei zu arbeiten, hatte er da ein eigenes Haus? Hielt er Vieh?«
    Der Junge nickte.
    »Hatte er eine Frau und Söhne?«
    »Er hatte einen Hof und hielt sich einen
daer-fudir
, der alles wie ein Pächter instand halten musste. Eine Frau oder Kinder hatte er nicht.«
    »Dann braucht dir nicht bange zu sein. Wir werden einen Weg finden, dich zu deinem Vater zurückzubringen und werden auch dem Brehon deines Clans Mitteilung machen, sodass die Kühe, die dein Vater Glassán für deine Pflegschaft überlassen hat, wieder an ihn zurückgehen. Wenn du und dein

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