Der Blutkelch
entbehren jeder Moral. Wenn er erst einmal Abt ist, wird erneue Regeln einführen und mit allem Verderbten aufräumen.«
»Er und Abt?« Der Einwurf kam von Eadulf.
»Abt Iarnla ist alt und hält an festgefahrenen Vorstellungen fest. Nicht lange, und er wird sich aus seinem Amt zurückziehen müssen, um für Bruder Lugna Platz zu machen.«
»Du verfolgst sicher mit Stolz die Entwicklung der Abtei, und die Brüder wissen dir deine Großzügigkeit gewiss zu danken«, schmeichelte ihr Fidelma. Sie musste verhindern, dass Eadulf weitere unbequeme Fragen stellte.
»Ich tue, was ich mit meinen bescheidenen Mitteln tun kann.«
»Man hat mir gesagt, du seist schon immer für deine Güte und Großherzigkeit bekannt gewesen.«
Lady Eithne war sich nicht sicher, ob sie das als Lob verstehen durfte, bekräftigte dann aber: »Ich war stets darauf bedacht, mich an die Glaubensregeln zu halten, und habe meine Söhne gelehrt, den Herrn zu preisen und in seinem Sinne zu wirken.«
»Als ich von deiner Großherzigkeit sprach, dachte ich mehr an Bruder Gáeth.«
»Bruder Gáeth?« Sie blinzelte erstaunt. »Wie kommst du ausgerechnet auf ihn?« Doch schon im nächsten Moment lächelte sie bekümmert. »Ein armes Geschöpf. Mein Mann hatte mehr mit ihm zu tun als ich. Er kam als Flüchtling mit seinem Vater und seiner Mutter hierher. Der Vater hatte einen Stammesfürsten aus seinem Clan, dem Clan der Uí Liatháin, getötet und folglich die Höchststrafe erhalten. Er bat uns um Zuflucht, und unser Brehon riet uns, sie ihm und seiner Familie zu gewähren, aber nicht die Freiheit, und so wurden sie Diener,
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, Arbeitskräfte auf unseren Ländereien.«
»Wurde nie in Betracht gezogen, dass der Vater – ich glaube, Selbach hieß er – möglicherweise wegen eines Verbrechens bestraft worden war, das er gar nicht begangen hatte?«
»Nein, nie. Im Gegenteil, die Uí Liatháin sind hier vorstellig geworden, um Selbach unserer Rechtsprechung zu entziehen, legten Beweise dafür vor, dass er hinterhältig den Stammesfürsten der Uí Liathán getötet hatte. Schließlich bekamen wir ihre Zusicherung, dass Selbach mit seiner Familie bei uns als
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bleiben konnte, und sie zogen ab, nicht gerade glücklich, aber doch zufrieden, dass sie Selbach los waren.«
»Und Gáeth wurde bei euch mit aufgezogen?«
»Er war Landarbeiter, nicht mehr und nicht weniger.«
»Und auch Donnchads Freund, wie man mir erzählt hat.« Sie lachte verächtlich.
»›Freund‹ ist wohl nicht das passende Wort. Als Kind rannte er ständig meinen beiden Söhnen hinterher, wobei Donnchad netter und verständnisvoller mit ihm umging als Cathal.«
»Wurde er nicht sogar Donnchads Seelenfreund?«
»Das war eine Sache, über die ich stets mein Missfallen zum Ausdruck gebracht habe. Selbst Abt Iarnla hat versucht, Donnchad zu überreden, sich jemand anderen zu suchen.«
»Trotzdem hast du Gáeth mit deinen Söhnen ziehen lassen, und er konnte sich der Bruderschaft in der Abtei anschließen.«
»Ich hatte immer eine Schwäche für meine Söhne, besonders für den jüngeren, für Donnchad. Er bettelte und bat mich, und ich gab seinen Bitten nach. Und was hat es gebracht? Aber das war Donnchad mit seiner Herzensgüte, er wollte den Einfältigen glücklich sehen.«
»›Einfältig‹ scheint mir etwas herb«, zürnte Eadulf, dem aufstieß, dass sie nicht die Erste war, die dieses Wort im Zusammenhang mit Gáeth gebrauchte.
»Wenn er keine einfältige Kreatur ist, so zumindest eine verschlagene«, gab sie boshaft zurück. »Er ist wie sein Vater und wird auch so enden wie er.«
»Hast du deshalb Abt Iarnla die Bedingung gestellt, er müsse – wenn er Gáeth in die Bruderschaft aufnimmt – dafür sorgen, dass er auch in der Gemeinschaft ein
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bleibt?«
»Das Gesetz ist eindeutig«, erwiderte Lady Eithne lächelnd. »Erst in der dritten Generation können die Nachkommen der Familie eines
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die Freiheit zurückerlangen. Das Urteil wurde von den Uí Liatháin gefällt, und wir hatten uns daran zu halten. Mein Sohn Donnchad hat mich überredet, Gáeth zu erlauben, mit ihm in die Abtei einzutreten. Abt Iarnla ist auf meine Bedingungen eingegangen. Zum Glück zeigte Donnchad nach seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt weniger übertriebene Herzensgüte und begriff, dass Gáeth keine Sonderrolle zusteht.«
»Du magst Gáeth nicht, stimmt’s?«, fragte Fidelma leise.
»Ihn und mögen?«, gab sie zynisch zurück. »Weshalb sollte ich
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