Der Blutkelch
hat er da von einer Befürchtung gesprochen, so etwas wie das hier könne geschehen?«
Der junge Krieger schüttelte den Kopf.
»Dein Bruder, der König, dachte nur, ich könnte dir von Nutzen sein. Das ist alles. Hätte er anderweitig Bedenken gehabt, hätte er mir gewiss nahegelegt, ein paar Krieger mitzunehmen. Ich glaube, es ist wirklich so, du hast dir im Laufe der Zeit viele Feinde gemacht. Wer Verbrechen begangen hat, denkt immer, ihm geschieht Unrecht, wenn er erwischt und bestraft wird. Oft genug geloben solche Leute, sich an denen zu rächen, von denen sie glauben, dass sie Ungmach über sie gebracht haben.«
»Das könnte sein«, gab Fidelma zögernd zu. Sie warf einen letzten Blick auf den Toten. »Ich kenne ihn jedenfalls nicht. Aber wir äußern ja ohnehin nur Vermutungen. Vielleicht waren er und der andere wirklich nur Räuber. Wir sollten jedoch die Augen offenhalten, falls sein Kumpan mit Verstärkung zurückkommt. Das Pferd und die Waffen nehmen wir mit. Vielleicht helfen uns die später, den Mann zu identifizieren. Mehr können wir nicht tun. Den Leichnam müssen wir in dem Graben hier liegen lassen. Ich fürchte, Wölfe oder andere Aasfresser werden sich über ihn hermachen.«
Gormán sammelte die Waffen ihres Angreifers ein, band sie zusammen und packte sie auf das braune Pony, das ganz in der Nähe angepflockt war. Mit sachkundigem Blick stellte er fest: »Auch das Pferd hat keinerlei Kennzeichnung. Nichts, woraus man entnehmen kann, woher es stammt; nur so viel lässt sich sagen: es ist eine allgemein übliche Züchtung aus dieser Gegend.«
Leicht verärgert kniff Fidelma die Lippen zusammen. Hatte sie doch tatsächlich vergessen, dass das Pferd ein Brandmal hätte haben können, das über seine Herkunft Auskunft gab. Gormán hatte sie diplomatisch auf eine Unterlassungssünde aufmerksam gemacht.
»Reiten wir auf diesem Weg hier weiter?«, fragte Eadulf und lenkte sie von ihrem Verdruss ab. »Wenn der Überfall ein Versuch war, uns von unserem Ziel Lios Mór abzubringen, sollten wir lieber eine andere Route nehmen.«
»Das hier ist der schnellste Weg, und wir wollen die Abtei vor Einbruch der Dunkelheit erreichen«, antwortete sie und saß auf. »Die Straße schwenkt links zum Gallagh ab, dem Fluss, der durch das Steintal fließt. Kannst du dich erinnern? Wir folgen dem Fluss durch das Tal, an dessen Ende die kleineKapelle von Domnoc liegt. Dort gönnen wir den Pferden eine Pause und uns selbst eine Erfrischung in der Herberge, bevor wir den Anstieg in die Berge in Angriff nehmen. Wir halten uns dann bergan an die Spur nach Cnoc Mhaol Domnaigh. Haben wir erst mal die Berge hinter uns, dauert es nicht mehr lange bis Lios Mór.«
Jetzt schwang sich auch Eadulf auf sein Pferd. »Wirst du zusätzlich das Pony führen können, Gormán?«, fragte er.
»Selbstverständlich«, lautete die frohgemute Antwort. Gormán wusste sehr wohl, dass Eadulf kein guter Reiter war, und bei der gebirgigen Strecke, die sie vor sich hatten, glaubte er, besser als Eadulf das unerwartet erworbene Packtier mitführen zu können.
»Also auf ein Neues«, rief Fidelma und ritt los. »Und denkt daran, Vorsicht ist geboten!«
Mit wachsamem Blick trabten sie dahin, erspähten aber nichts Verdächtiges und erreichten bald die kleine Kapelle von Domnoc, die am Ausgang des Tales am Wegrand stand. Auf dem angrenzenden Feld machte sich ein korpulenter Mann mit einer Hacke zu schaffen. Als er sie bemerkte, hielt er inne, kam auf sie zu und begrüßte sie freudig. Es war Bruder Corbach, der für die Kapelle zuständige Mönch. Er hatte rote Wangen und strahlendblaue Augen. Er erkannte Fidelma auf Anhieb, war sie doch schon öfter hier vorbeigekommen, begrüßte auch Eadulf und Gormán, dessen Goldreif um den Hals er gebührend zur Kenntnis nahm. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er ihnen alle erdenkliche Gastfreundschaft bot. »Es fehlt auch nicht an guten Betten für die Nacht«, fügte er hinzu, doch Fidelma winkte ab.
»Wir möchten den Aufstieg hinter uns bringen und noch bei Tageslicht Lios Mór erreichen, falls uns das Wetter gnädig ist.«
Der Mönch schaute zum Himmel.
»Es verspricht, ein schöner Abend zu werden«, versicherte er und fragte dann: »Ist es wegen der Nachricht aus Lios Mór, dass ihr dort hin wollt?«
»Was für eine Nachricht?«, forschte Fidelma.
»Na, ich meine die von Bruder Donnchads Ermordung. Reisende, die hier vorbeikamen, haben mir davon erzählt.«
»Sind hier heute schon
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