Der Blutkelch
überdauern und von der Bedeutung und Glaubenstreue der Gemeinschaft zeugen.«
»Es ist in der Tat eine Weile her, dass du hier warst«, nahm der Abt wieder das Wort, »und es betrübt mich, dass der Tod eines herausragenden Mitglieds unserer Bruderschaft Anlass deines jetzigen Besuchs ist.«
»Wer wusste außer dir und deinem Verwalter von unserem Kommen nach Lios Mór?«, fragte Eadulf unvermittelt.
Der alte Abt zog die Stirn in Falten. »Ich habe daraus kein Geheimnis gemacht und kann mir gut vorstellen, dass die Kunde in der Abtei herumgegangen ist. Und natürlich habe ich Lady Eithne in Kenntnis gesetzt, die, wie ihr sicherlich wisst, die Mutter von Bruder Donnchad ist.«
»Gibt es Anlass zur Besorgnis?«, fragte Bruder Lugna. »Hätte man über euer Kommen Schweigen bewahren sollen?«
»Wir wurden auf dem Weg hierher überfallen«, erklärte Eadulf. »Fast könnte man meinen, die Angreifer hätten uns vorsätzlich aufgelauert.«
»Ihr glaubt doch nicht etwa, der Überfall hat etwas mit eurer Reise hierher zu tun und muss im Zusammenhang mit der geplanten Aufklärung des Mordes an Bruder Donnchad gesehen werden?«, äußerte sich Abt Iarnla erregt.
»Das muss nicht unbedingt sein«, erwiderte Fidelma rasch. »Vielleicht waren es auch nur Räuber, die es auf beliebige Reisende abgesehen hatten. Aber es ist schon merkwürdig, dass sie darauf aus waren, uns zu töten. Hätten sie vorgehabt, uns auszurauben, hätten sie uns nur zu bedrohen brauchen. Sie waren im Vorteil, sie lagen im Hinterhalt.«
»Was ist aus ihnen geworden?« Es war Bruder Lugna, der die Frage stellte.
»Gormán, unser Leibwächter, hat den einen getötet, und der andere hat das Weite gesucht.«
Man schwieg. Abt Iarnla war deutlich bestürzt, und sein Verwalter überdachte die Auskunft mit besorgtem Gesicht.
»Das erklärt im Grunde genommen das Problem«, meinte er leichthin. »Sie haben gesehen, dass ihr einen Krieger bei euch hattet, ein Mitglied von des Königs Leibwache, und statt es mit ihm aufzunehmen, entschieden sie sich für einen Überfall. Es waren feige Räuber, nichts anderes. Aber ich bekenne offen, Schwester Fidelma, die Entscheidung des Abts, euch herzuholen, findet nicht meine Unterstützung.«
Die Schroffheit des Mannes verblüffte Fidelma, doch sie zwang sich zu einem Lächeln. »Darf ich fragen, warum nicht?«
»Ich bin der Auffassung …«, begann der Verwalter.
»Mein
rechtaire
glaubt, die Angelegenheit sollte innerhalb der Klostergemeinschaft geklärt werden«, mischte sich Abt Iarnla hastig ein und bedachte Bruder Lugna mit einem verunsicherten Blick. »Er ist der Meinung, mir als Abt stünde es zu, in derartigen Fragen Recht zu sprechen und auch das Strafmaß zu verfügen. Aber unsere Abtei unterliegt nicht den römischen Bußvorschriften.«
Aus der Art, wie der Verwalter auf die Äußerungen reagierte, entnahm Eadulf, dass es zwischen ihm und dem Abt Spannungen gab, und er stellte harmlos fest: »Du hältst dich also an die Pönitenzvorschriften, Bruder Lugna? Wie ich sehe, trägst du die Tonsur des heiligen Petrus. Bekennst dich demnach zur Vorherrschaft Roms.«
»Wie du auch, Bruder Eadulf. Ich habe fünf Jahre in Rom studiert.«
»Woher stammst du eigentlich, Bruder Lugna?«, fragte Fidelma. »Ich erkenne in deiner Sprechweise keine Klangfärbung unseres Königreichs.«
»Ich stamme aus Connachta, komme von den Uí Briuin Sinna von der Ebene am Meer.« Er antwortete im sachlichen Ton ohne jeden Stolz.
»Da kommst du aber von weit her.«
»Der Glaube ist überall; egal, wo man sich aufhält, ob in Rom oder Lios Mór oder Connachta, man ist unter Brüdern, vorausgesetzt, sie befolgen die wahre Lehre.«
Eadulf spürte Unbehagen in sich aufsteigen – der arrogante junge Mönch gefiel ihm nicht. Abt Iarnla bereitete dem peinlichen Schweigen ein Ende. »Wir können nur froh sein, dass keiner von euch auf der Reise hierher ernsthaft Schaden genommen hat«, bemerkte er mit einem zaghaften Lächeln. »Die Nachricht von dem Überfall, mit welchem Hintergrund auch immer, ist besorgniserregend. Wir werden heute Abend bei der Andacht Gott mit einem Gebet für eure sichere Ankunft danken. Ich persönlich halte dein Kommen und deine Bereitschaft, den außergewöhnlichen Vorfall zu klären, für richtig und wichtig. Ich würde niemand anders mit der Aufgabe betrauen wollen.« Wieder bedachte er seinen Verwalter mit einem merkwürdigen Blick, den sie nicht zu deuten wussten. »Deshalb habe ich mich nicht an den
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