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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»Seid ihr schon zu irgendwelchen Schlussfolgerungen gelangt?«
    »Wir sind weit entfernt davon, Schlüsse zu ziehen«, erwiderte Fidelma. »Bevor wir uns ein Urteil bilden können, wollen noch viele Fragen gestellt werden.«
    Abt Iarnla schaute sich verstohlen um, wie um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtete, und senkte dieStimme: »Hoffentlich siehst du mir nach, Fidelma, dass ich dir diesen Platz zugewiesen habe. Mir ist bewusst, es stünde dir als Schwester unseres Königs und Eadulf zu, neben mir zu sitzen, doch Bruder Lugna vertritt die Ansicht, der Kirchenbrauch in Rom …« Er stockte, wusste nicht, wie er fortfahren sollte.
    »Wir sind mit dem uns Gebotenen zufrieden, Abt Iarnla«, beruhigte ihn Fidelma. »Zudem macht Bruder Lugna keinen Hehl daraus, dass ihm lieber wäre, uns nicht hier zu sehen.«
    »Ich entschuldige mich seinetwegen. Er ist unbeugsam, wenn es um die Einhaltung der Regeln geht, die er für die Gemeinschaft aufgestellt hat.«
    »Regeln, die er aufgestellt hat?« Fidelma war überrascht. »Ich hätte gedacht, Regeln für die Gemeinschaft aufzustellen wäre das Vorrecht des Abts.«
    »Er glaubt, die Brüder verhielten sich zu lax und zu unbekümmert, was Sittenstrenge und Ordnung angeht«, bekannte der ältliche Abt. »Die Zeiten ändern sich. Ich habe mich immer bemüht, die Abtei im Geiste unseres geheiligten Gründers Mo-Chuada zu führen, doch du weißt selbst, auch was den Glauben betrifft, bleibt manches nicht beim Alten. Aus Rom erreichen uns neue Vorstellungen. Ich habe mich überreden lassen, Bruder Lugnas Vorgehensweise gutzuheißen, mit der er unsere Gemeinschaft zu stärken gedenkt.«
    Fidelma wollte schonend darauf hinweisen, dass er zu viel von seiner Autorität dem jungen Verwalter überließ, doch unversehens drehte sich der Abt um und winkte einen Mönch heran, der ein betagtes Mitglied der Gemeinschaft auf dem Gang zwischen den Tischen zum Portal führte. Der junge Mann zögerte zunächst, lenkte dann aber die Schritte seines Schützlings auf die Gruppe zu.
    Der Alte konnte kaum gehen, mit einer Hand stützte er sich auf den Arm seines Helfers und mit der anderen auf einen derben Stecken. Die Haut spannte sich wie farbloses Pergament über den Schädel und wies rote Flecken über den Wangenknochen auf. Die wässrigen, grauen Augen blickten starr. Die Lippen waren schmal und fast blutlos. Haare hatte er überhaupt nicht mehr, bis auf die weißen Stoppel an Kinn und Oberlippe, die man schlecht rasiert hatte. In den Mundwinkeln hingen Speicheltropfen. Schwer abzuschätzen, wie alt er war, alles zwischen achtzig und hundert Jahren wäre denkbar gewesen.
    Sein Begleiter mochte an die dreißig sein. Fidelma empfand seine Gesichtszüge als hässlich. Die Haut war bleich, und obwohl Wangen und Kinn glattrasiert waren, hatten sie einen bläulichen Schimmer, woraus zu schließen war, dass dort ein dichter Bart wachsen würde, hätte man sich nicht des Rasiermessers bedient. Das blauschwarze Haar war kurz geschoren, und das war ungewöhnlich, denn sowohl bei Männern wie Frauen galt es als Schönheitsideal, das Haar lang zu tragen. Die Augen waren so dunkel, dass man kaum die Pupillen ausmachen konnte. Er hatte eine Knollennase und aufgeworfene Lippen, wobei die Unterlippe stärker hervortrat. Der halbgeöffnete Mund ließ schlechte Zähne erkennen. Fidelmas Blick glitt auf die Hände des Mannes. Wie befürchtet, waren die Fingernägel ungepflegt. So etwas betrachtete man als Zeichen mangelnder Erziehung, denn sorgsam geschnittene und gerundete Nägel waren zumindest in den wohlhabenderen Schichten Brauch. Groß war der junge Mönch nicht, und stämmig schon gar nicht. Eher erinnerte seine klapperdürre Erscheinung an jemand, dessen Mahlzeiten kärglich waren und der sich nur selten satt essen konnte. Insgesamt gab er ein Bild trübseliger Unterwürfigkeit ab.
    »Das ist Bruder Gáeth«, stellte ihn der Abt vor. »Er war Bruder Donnchads
anam chara
. Ihr wolltet doch mit ihm reden.«
    Mühsam nahm der Greis Fidelma in Augenschein und kam dichter heran. Für einen Moment verklärte sich sein Gesicht. Dann seufzte er, schüttelte den Kopf und sagte niedergeschlagen: »Du bist kein Engel.«
    Der Abt war peinlich berührt, doch Fidelma entgegnete freundlich lächelnd: »Ein Engel bin ich nicht. Ich bin Fidelma von Cashel.«
    Der Alte schüttelte weiter den Kopf. »Kein Engel«, murmelte er vor sich hin.
    »Das ist der Ehrwürdige Bróen, Fidelma«, stellte ihn der Abt zaghaft

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