Der Blutkelch
wurde.«
»War das schon in den ersten Jahren eures Hierseins?«
»Ja.«
»Hat der Abt das gebilligt?«
»Nicht so richtig. Er vertrat die Ansicht, Donnchad müsste einen Seelenfreund haben, der ihm geistig ebenbürtig war.«
Fidelma stutzte bei der Feststellung, die so wenig zu dem Mann, den sie vor sich hatte, zu passen schien. »Hast du es selber gehört, dass er so etwas sagte?«
»Ich habe es zufällig gehört, als der Abt mit ihm darüber sprach«, räumte Bruder Gáeth ein. »Donnchad hat ihm entgegnet, es täte ihm gut, mir zu erzählen, was ihn beschäftige. Wir haben uns jede Woche vor der Sonntagsruhe getroffen, und er hat mir berichtet, was sich in der Woche ereignet oder was er gelernt hat, und ich habe zugehört. Oft habe ich mir gewünscht, ich wäre so gebildet wie er und könnte mich über die wundersamen Dinge mit ihm austauschen, die er beim Lesen der Werke der großen Heiligen entdeckt hatte oder auch der Worte unseres Herrn, als er auf Erden wandelte.«
Eadulf konnte nicht umhin, Fidelma einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Ein Seelenfreund war gewiss mehr als nur jemand, mit dem man reden konnte. Das war ein Freund, der einen verstand, mit dem man seine Ideen erörterte, der einen in Glaubensdingen bestärkte oder davor bewahrte, Fehler zu begehen.
»Ich vermute, euer vertrautes Verhältnis hörte auf, als der Oberherr der Déisi sich in den Kopf setzte, Cathal und Donnchad hätten vor, eine Verschwörung gegen ihn anzuzetteln«, sagte Fidelma.
»Sie mussten die Klostergemeinschaft verlassen und sich verbergen«, bestätigte Bruder Gáeth, ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. »Von Donnchad hörte ich erst wieder, als er eine einzige Nacht in der Abtei verbrachte. Das war, als er mit seinem Bruder nach Ard Mór aufbrach und zu den Ländern jenseits der See. Er erzählte mir damals, er und sein Bruder würden sich auf eine Pilgerfahrt ins Heilige Land begeben, dorthin, wo unser Heiland gelebt und gelehrt hatte. Ah, wie sehr wünschte ich, mit ihm ziehen zu dürfen. Doch ich war bloß ein
daer-fudir
, ein Ackerknecht, und mir fehlte jegliches Wissen dafür.«
»So bist du also hiergeblieben«, fasste Fidelma geduldig zusammen. »Wann hast du Donnchad wiedergesehen?«
Die Erinnerung daran zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. »Bei seiner Rückkehr. Und die war geradezu ein Triumphzug. Die ganze Gemeinschaft und sogar der Abt zogen ihm entgegen, um ihn willkommen zu heißen.« Er schwieg und schaute bekümmert drein. »Doch Donnchad hatte sich verändert. Ich ging zu ihm und wollte ihn begrüßen, doch er tat, als kennte er mich nicht. Natürlich waren einige Jahren vergangen, auch schien er mit den Gedanken ganz woanders.«
»Du hast ihn so lange gekannt, doch gesagt hat er dir nicht, was ihn beschäftigte?«
»Nichts hat er gesagt. Nach jenem ersten Tag habe ich ihn eine Weile sich selbst überlassen. Habe mir gedacht, er hat so viel erlebt, und auch der überwältigende Empfang bei seiner Rückkehr, all das hat sein Wesen verändert. Nachdem ich ihm Zeit gelassen hatte, sich wieder einzuleben, habe ich ihn aufgesucht. Da war er nicht mehr so zerstreut und von anderem in Anspruch genommen, und doch hat er mich sehr hart und grausam abgefertigt.« Bruder Gáeth hatte Mühe, seine innere Bewegung zu verbergen.
»Wie hat er sich dir gegenüber geäußert?«
»Er hat einfach erklärt, er wolle mit mir nichts mehr zu tun haben.«
Traurig schüttelte er den Kopf. Er erinnerte Fidelma an einen Hund, den sein Herr ohne jeden Grund misshandelt hat und der das nicht versteht.
»Und kein Wort darüber, warum?«
»Er hat gesagt, wirf deine Kutte weg und fliehe von hier in die Berge. In den Bergen bist du in der Einsamkeit und findestzu innerer Einkehr und gesundem Denken. Unter den Menschen gibt es keinen gesunden Verstand.«
Fidelma beugte sich vor und schaute ihn groß an. »Waren das genau seine Worte?«
»Genau so hat er sich ausgedrückt. Ich erinnere mich an seine Worte, als wären sie eben erst gefallen.«
»Wann hattet ihr das Gespräch?«
»Ein oder zwei Tage vor seinem Tod. Nie wieder wolle er mich sehen, hat er gesagt. Ich sollte die Gemeinschaft hier verlassen und geistige Gesundheit suchen. Was er damit meinte, weiß ich eigentlich immer noch nicht.«
»Und danach hast du nicht mehr mit ihm gesprochen?«, fragte Eadulf.
»Nein, nie mehr!«
»Hast du davon erfahren, dass ihn seine Mutter besucht hat, kurz bevor er tot aufgefunden wurde?«
»Ich habe sie zur
Weitere Kostenlose Bücher