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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gezwungen zu fliehen, um einem höchstwahrscheinlich ungerechten Todesurteil zu entgehen. Ein solches Urteil darf nur gefällt werden, wenn jemand völlig unverbesserlich ist und sich weigert, Schadenersatz zu leisten oder sich durch Arbeit die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft zu verdienen. Der damalige Richterspruch war anfechtbar. Der Verurteilte flieht aus dem Gebiet seines Clans und bleibt für den Rest seines Lebens ein
daer-fudir
– mit ihm verfallen auch seine nächsten Angehörigen der Schuldknechtschaft. In unserem Fall waren es Mutter und Sohn. Wie kann der Sohn in dieser Lebenslage seine angeborenen Fähigkeiten ausbilden?«
    »So sehe ich das auch«, stimmte ihr Eadulf nach kurzem Überlegen zu. »Immerhin haben wir jetzt die Lösung von wenigstens einem der Rätsel.«
    »Von welchem?«
    »Wir wissen nun, wer die Mittel bereitstellt für den Um- und Ausbau der Abtei.«
    »Lady Eithne ist eine eifrige Anhängerin des Glaubens und auf ihre Söhne und deren vollbrachte Leistungen stolz. Also erklärt sich ihr Bestreben ganz natürlich.«
    »Gut. Wie verfahren wir weiter?«
    »Wir begeben uns ins
scriptorium
. Wir müssen versuchen, mehr über die fehlenden Handschriften zu erfahren.«
    »Wovon können wir bisher ausgehen?«, fragte Eadulf.
    »Zählen wir einmal auf, was wir wissen. Du fängst an.«
    »Bruder Donnchad, ein hochangesehener Gelehrter, kehrt nach einer Pilgerreise in die Abtei zurück und wird als Held gefeiert. Er legt ein sonderbares Benehmen an den Tag. Es heißt, er habe einige kostbare Handschriften mitgebracht. Er kapselt sich völlig ab, erklärt sogar seinem Seelenfreund, er wolle ihn nicht mehr sehen. Er fürchtet, seine Manuskripte könnten gestohlen werden, später bangt er um sein Leben. Wir erfahren weiter, er verflucht seinen Bruder als einen Narren und rät seinem Seelenfreund, die Abtei zu verlassen und sich in die Berge zurückzuziehen. Wenige Tage danach wird er in seiner Zelle erdolcht.«
    »Und das Merkwürdige daran ist …?«
    »Er hat zwei Stichwunden im Rücken, doch der Leichnam liegt auf dem Bett, als sei er dort entschlafen. Die Tür ist verschlossen, und der einzige zur Tür passende Schlüssel liegt neben der Leiche. Damit erhebt sich die Frage, wie ist der Mörder in die Zelle gelangt und wie hat er sie verlassen? Wir vermuten, dass der Täter die Manuskripte mitgenommen hat.«
    »So weit stimmt alles«, bestätigte ihm Fidelma. »Wir müssen ergründen, warum Donnchad ein Schloss mit nur einem Schlüssel für seine Tür verlangte. Er hatte Angst, jemand könnte ihm die wertvollen Manuskripte rauben. Aber gesehen hat sie niemand …«
    »Bis auf Lady Eithne«, hakte Eadulf ein. »Warum sollte sie erfinden, sie hätte sie gesehen?«
    »Deshalb glauben wir, der Mörder hat sie gestohlen; bleibt die Frage, wie?«
    »Also werden wir den
scriptor
befragen. Wenn in der Abtei jemand etwas darüber weiß, könnte es der Bibliothekar sein.«
    Fidelma erhob sich und ging zur Tür des
refectorium
; Eadulf folgte ihr. Zu ihrer Überraschung fanden sie draußen Abt Iarnla, der auf sie wartete. Etwas schien ihn zu bedrücken.
    »Wie ist es euch mit Bruder Gáeth ergangen?«, erkundigte er sich.
    »Wie du es erwartet hast, er hat uns kaum etwas Neues berichten können«, antwortete Fidelma. »Bruder Donnchad hat ihn nach seiner Rückkehr nicht mehr als seinen Seelenfreund angenommen.«
    »Dann ist euer Gespräch so verlaufen, wie ich mir gedacht habe.« Der Abt sah zu Boden, schien unschlüssig, ob er noch etwas anderes sagen sollte.
    »Gut hat es das Leben mit Bruder Gáeth augenscheinlich nicht gemeint«, bemerkte Eadulf.
    Der Abt schaute auf. »Dann hat er euch wohl berichtet, dass er zu den
daer-fudir
gehört.«
    »Ich habe immer gedacht, sobald jemand durch das Portal einer Abtei tritt und ihr Mitglied wird, gelten Rangunterschiede nicht mehr. Ein König, der abdankt, um fortan in einem Kloster zu leben, steht mit dem Moment auf derselben Stufe wie ein
céile
, ein freier Clansmann, oder wie ein
daer-fudir
. Die Ränge, nach denen sich ihr Dasein im Stammesverband richtete, zählen nicht länger.«
    »Ganz so ist es nicht, Bruder Eadulf«, entgegnete der Abt. »Fidelma kennt sich da aus. Eine Abtei steht unter der Schirmherrschaft der Adligen oder Könige, die der Gemeinschaft Land übereignen, um darauf zu bauen. Anders darf der Grund und Boden nicht genutzt werden. Sollte die Klostergemeinschaft das Land anderweitig nutzen oder veräußern wollen, darf sie das nur mit

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