Der Blutkelch
der
scriptor
unbeeindruckt. »Er ist ein Ackerknecht, kann kaum seinen eigenen Namen schreiben. Ihr werdet ihm sicher noch begegnen und könnt euch dann selbst ein Urteil bilden.«
Fidelma warf Eadulf einen warnenden Blick zu, der drauf und dran war, zu erklären, dass sie schon mit Bruder Gáeth gesprochen hatten.
»Er war doch aber Bruder Donnchads
anam chara
«, wendete sie vorsichtig ein.
»Das war, bevor Bruder Donnchad auf die Pilgerfahrt ging. Wie auch immer, einen Seelenfreund solcher Art hatte Bruder Donnchad eigentlich nicht nötig.«
Fidelma überging die Bemerkung und fragte stattdessen: »Weißt du, ob es unter den Klosterbrüdern Vermutungen oder Erwägungen gab, was Bruder Donnchad bewogen haben könnte, sich von allen zurückzuziehen?«
Der Bibliothekar antwortete nicht sogleich, hob dann eine Schulter, ließ sie wieder fallen und deutete damit an, dass er dazu nichts zu sagen wüsste. »Ich gebe nichts auf Gerede.«
»Manchmal bringt einen das Gerede anderer der Wahrheit ein Stück näher«, ermunterte ihn Fidelma.
»Dazu kann ich nichts sagen.« Er spürte jedoch, dass man von ihm eine Antwort erwartete, und sprang schließlich über seinen Schatten. »Die einen meinten, er wäre nicht richtig im Kopf gewesen, sahen es als Folgeerscheinung der Entbehrungen an, die er unterwegs erlitten hatte. Andere meinten, er hätte sich von seinem älteren Bruder Cathal im Stich gelassen gefühlt, der nicht mit heimkehrte, weil man ihm das
pallium
einer fremden Stadt angeboten hatte.«
»Und was meintest du selbst?«
Der
scriptor
machte ein nachdenkliches Gesicht. »Um ehrlich zu sein, ich hatte den Eindruck, er sei ganz einfach verrückt geworden.«
»Woran glaubtest du das zu erkennen?«
»Er wurde heimlichtuerisch, verschlossen, dachte, andere heckten Verschwörungen gegen ihn aus oder wollten ihm etwas stehlen. Er soll auf einem Schloss für die Tür zu seiner Zelle bestanden haben … einem Schloss mit Schlüssel!«Bruder Donnán hob ratlos die Arme und ließ sie wieder fallen. »Wenn man allerdings sieht, wie er zu Tode kam, dann war er vielleicht gar nicht so verrückt. Aber zu der Zeit dachte ich, seine Wahnzustände hätten etwas mit seiner Geistesverwirrung zu tun.«
»Wahrscheinlich siehst du das richtig: jetzt, da man weiß, er wurde ermordet, war es vielleicht gar kein Verfolgungswahn«, sagte Eadulf.
Bruder Donnán schwieg.
»Man hat uns erzählt, Donnchad hätte Manuskripte und andere Artefakte von seinen Reisen mitgebracht«, nahm Fidelma den Faden wieder auf. »Kostbare Manuskripte.«
Bruder Donnáns Miene erhellte sich.
»Ich hatte mich schon darauf gefreut. Auch ich hatte gehört, es würde sich um wertvolle Schriften handeln; welch großes Glück, sie in den Bestand der Bibliothek aufnehmen zu dürfen.«
»Und du hast sie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen?«
»Ich hab doch gesagt, Bruder Donnchad lebte in dem Wahn, jemand könnte sie ihm stehlen, und so behielt er sie in seinem
cubiculum
.«
»Er hat nicht eins der Manuskripte hier in der Bibliothek hinterlegt?«
Bruder Donnán schüttelte den Kopf. »Nach seiner Rückkehr von der Pilgerreise kein Stück.«
»Und was ist mit den Artefakten? Er soll doch auch Kunstgegenstände mitgebracht haben«, bohrte Eadulf weiter. »Wer hat die bekommen?«
»Ein winziges Bruchstück des Wahren Kreuzes hat er mitgebracht, ja. Das befindet sich jetzt in unserer Kapelle in einer Nische des Altars.«
»War das das Einzige?«
»Er hat wohl auch ein paar Geschenke für Lady Eithne, seine Mutter, dabeigehabt. Eins war ein kunstvoll gefertigtes Kreuz aus dem Osten mit großartigen Halbedelsteinen. Als er die Geschenke auf der Burg überreichte …« Er hielt erschrocken inne.
»Du warst dabei zugegen?«, fragte Fidelma.
»Ich war mehrere Male dort, habe Lady Eithne Handschriften hingetragen.«
»Bruder Donnchad hat manchmal seine Mutter auf der Burg besucht?«
»Das ist nicht weit von hier. Du bist selbst dran vorbeigekommen, da wo der Weg über den Großen Fluss führt, ehe er nach Westen in Richtung Abtei abbiegt.«
»Ich kenne die Stelle«, bestätigte Fidelma. »Kommen wir aber auf Bruder Donnchad zurück. Du hast ihn noch vor kurzem auf der Burg seiner Mutter gesehen?«
»Das ist schon länger her. Am Tag nach seiner Rückkehr ging er zu seiner Mutter. Das war im Frühsommer. Er blieb mehrere Tage dort. Es war reiner Zufall, dass ich auch gerade dort zu tun hatte.«
»Und in letzter Zeit ist er nicht mehr auf der Burg
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