Der Blutkelch
für deine Auskünfte.« Damit beendete Fidelma das Gespräch. »Und besten Dank auch dir, Bruder Máel Eoin. Ihr wart uns beide eine große Hilfe.«
KAPITEL 9
Eadulf blieb draußen vor der Tür des
scriptorium
stehen.
»Bruder Donnán hat uns eher mehr Fragen beschert, als er beantwortet hat. Wir wissen immer noch nicht, um was für Manuskripte Bruder Donnchad so panische Angst hatte.«
»Die Vermutung, dass der Mörder darauf aus war, sie an sich zu bringen, bleibt das einzige Motiv für das Verbrechen«, erwiderte Fidelma. »Mich beunruhigt eine andere Sache, nämlich dass Bruder Lugna in der Abtei mehr Macht zu haben scheint als der Abt.«
»Er ist immerhin der Verwalter, und in dieser Eigenschaft muss er doch die täglichen Belange in der Hand haben, oder?«
»Das schon, aber er hat offensichtlich einige überzogene Vorstellungen, die im Gegensatz zu denen des Abts stehen und die auch manche von denen, mit denen wir bereits gesprochen haben, nicht gut finden. Er scheint sich trotzdem durchzusetzen. Wie hat er es nur geschafft, zum Verwalter gewählt zu werden?«
»Mich beunruhigt vielmehr, dass er die Vernichtung von heidnischen Büchern angeordnet hat.« Eadulf kam ein fast unheimlicher Gedanke. »Soll ich dir etwas sagen? Bruder Lugna ist der Mörder.«
»Jetzt schon jemand zu verdächtigen ist entschieden zufrüh. Die Tatsache, dass er durch sein Verhalten auffällt, lässt mich eher das Gegenteil annehmen. Schuldige versuchen ihre Schuld zu verbergen und sich unauffällig zu verhalten. Solange wir keine Beweise haben, verbieten sich Mutmaßungen«, schloss sie mit ihrer Lieblingsmaxime, um dann einen anderen Faden fortzuspinnen: »Das Traurige an der Geschichte ist, dass es viele Geistliche gibt, die der Überzeugung sind, es wäre hilfreich für den Glauben, heidnische Werke zu vernichten. Sie denken, der mahnende Auftrag, die Menschen an die Hand zu nehmen und sie aus der Dunkelheit an die lichten Verheißungen des lebendigen Gottes zu führen, befiehlt ihnen, alles aus der Welt zu schaffen, was ihre Vorfahren gedacht und geschrieben haben. Unbekümmert und ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken, zerstören sie überliefertes Wissen und althergebrachtes philosophisches Gedankengut.«
»Was immer in den Büchern stand, die Bruder Donnchad wie einen Schatz hütete, es muss an den Grundfesten des Glaubens gerüttelt haben«, meinte Eadulf.
Ein Schreckensruf und ein dumpfer Knall ließen sie zusammenzucken. Beides kam aus der Richtung des im Bau befindlichen Gebäudes. Laute und wütende Stimmen drangen herüber. Offensichtlich hatte jemand etwas Schweres fallen lassen und wurde nun von anderen beschimpft. In dem Durcheinander von Steinen tauchte eine kleine Gestalt auf und verschwand blitzschnell. Eadulf entging das nicht, er wollte Fidelma darauf aufmerksam machen, da sah er Bruder Lugna um die Ecke des
scriptorium
kommen.
»Wenn man vom Teufel spricht…«, murmelte Fidelma.
Der
rechtaire
begrüßte sie kühl. »Wie geht es mit den Nachforschungen voran? Macht ihr Fortschritte?«
»Nur langsam«, erwiderte Fidelma.
»Aber sicher«, ergänzte Eadulf, der ein deutliches Unbehagen empfand, wenn er den Mann nur erblickte.
Bruder Lugna stutzte; er wusste den Unterton in Eadulfs Stimme nicht recht einzuordnen. »Das freut mich«, entgegnete er.
»Hatte dir Bruder Donnchad davon berichtet, dass ihm sein
ceraculum
abhandengekommen war?«, fragte Fidelma.
Nur kurz zog Bruder Lugna die Stirn in Falten, schon einen Moment später glättete sie sich wieder.
»Doch, ich entsinne mich. Wir begegneten uns, als er aus dem
scriptorium
kam. Da sprach er davon, dass es ihm jemand gestohlen hätte. Eine derartige Behauptung käme einer ungeheuerlichen Anklage gleich, bedeutete ich ihm, umso mehr, wenn er jemanden aus der Bruderschaft verdächtigte. Er schimpfte mich einen Narren und ließ mich stehen. Das war, kurz bevor seine Mutter in die Abtei kam, um mit ihm über sein befremdliches Verhalten zu sprechen. Nach ihrem Besuch weigerte er sich, überhaupt irgendeinen zu sich in die Zelle zu lassen. Weshalb fragst du?«
»Anderen ist aufgefallen, dass er völlig außer sich war über den Verlust seiner Notiertafel. Das wundert uns. Es wäre doch ein Leichtes gewesen, in der Gemeinschaft Ersatz dafür zu beschaffen.«
»Bruder Donnchads Verhalten war besonders mir gegenüber sehr eigenartig. Ich nahm an, er hätte auf der Tafel noch wichtige Notizen zu stehen gehabt, und es wäre das gewesen, was ihn so
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