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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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hatte man ihn zurückgelassen, um ein Auge darauf zu haben, dass Türen und Fenster ordentlich verschlossen blieben, bis die Familie von ihrem Landsitz in die Stadt zurückkehrte. Er lauschte, hatte er den Alten ebenfalls gehört? Oder irritierte ihn das Zwitschern der Vögel. Fürwahr ein ungewohntes Geräusch in dem Teil Londons, der einst sein Zuhause gewesen war. Hier jedoch gab es Gärten und Parks. Der Mond war schon verschwunden und über dem Eastend kündete ein heller werdender Streifen vom Anbruch eines neuen Tages. Sie konnte seine Panik spüren. Natürlich, er war ein Novize, noch dazu ein geschaffener Vampir. In wenigen Minuten würde er auf den Stufen dieses Hauses zu Asche verbrennen. Wie gerne hätte Vivianne jetzt gerufen: «Der Keller! Versteck dich im Keller, und wenn du es nicht verhindern kannst, dann trinke von dem Säufer dort unten, der macht es ohnehin nicht mehr lange!» Und als hätte der Mann sie gehört, warf er sich noch einmal mit aller Kraft gegen die Haustür, sprengte sie auf und brachte sich in der kühlen, modrig riechenden Halle vorerst in Sicherheit. Er besaß ausreichend Verstand, die Tür hinter sich zu schließen und einen vergessenen Riegel vorzulegen. Selbst wenn jemand die Beschädigungen von draußen sähe, wäre ihm der Zugang verwehrt und er würde wieder von dannen ziehen müssen. Hier in London kümmerte sich niemand um die Belange fremder Leute, das brachte nur Scherereien.
    Nach diesem erfolgreichen Start in die Welt der Vampire mauserte sich ihr Held bald zu einem geschickten Vertreter seiner Art. Der Hausdiener überlebte seine Attacke zwar nicht, aber das war bei einem Streuner, der offensichtlich von seinem vampirischen Paten verlassen worden und auf sich allein gestellt war, auch nicht anders zu erwarten. Immerhin bereute er seine Tat und vergrub den armen Kerl im Rosenrondell. Vivianne musste kichern, als sie sich vorstellte, wie wunderbar die Pflanzen in der kommenden Saison gedeihen würden.
    Und dann machte ihr Traum einen Sprung. Zeit musste vergangen sein, vielleicht Jahre. Der Vampir lebte nicht mehr in dem eleganten Haus. Er hatte sich in einem Junggesellenquartier eingemietet. Und obwohl er keine geschliffenen Manieren besaß, war er dort wohlgelitten, denn er bezahlte pünktlich den vollen Zins, verzichtete auf die Verköstigung und hatte auch keine lärmenden Besucher so wie die anderen jungen Burschen vom Lande, die nach der Universität zum ersten Mal das Stadtleben genossen. Von der jungen Frau, die sich gelegentlich in seine Wohnung schlich, wusste die Vermieterin nichts oder wollte es nicht sehen. Vielleicht half er auch ein wenig nach. Vivianne vermutete, dass seine vampirischen Fähigkeiten inzwischen besser geworden waren. Eigenartigerweise gefiel es ihr gar nicht, dass er eine Geliebte zu haben schien. Was ließ sich ihr Traummann mit einer Sterblichen ein, die zugegebenermaßen recht hübsch, aber doch auch sehr gewöhnlich war? So gewöhnlich wie ... Sie würde noch darauf kommen. Dieses Gesicht hatte sie schon einmal gesehen. Doch das musste warten, denn das Leben ihres Helden war äußerst abwechslungsreich. Anfangs begriff sie nicht, aber dann wurde ihr klar, dass die Frau als Zofe arbeitete, ihre Herrschaft ausspionierte und er des Nachts in die Stadthäuser der Adligen eindrang, um sie zu bestehlen. Das ging so lange gut, bis sie hinter seinem Rücken einen gefährlichen Flirt mit einem jungen Dunkelelf anfing, in dessen Haushalt sie angestellt war, sich dieser auch prompt in sie verliebte und ihr versprach, das zu tun, was ihr diebischer Freund strikt ablehnte: Sie zu einer der ihren zu machen. Ihr Traummann stieg in Viviannes Hochachtung, weil er dem kleinen Luder nicht nachgegeben hatte. Man schuf nicht einfach so Vampire, bloß weil eine eitle Sterbliche vielleicht Probleme mit dem Älterwerden hatte. Auch im achtzehnten Jahrhundert hatten bereits die Regel des Rats gegolten, nach der man sicher sein musste, dass der oder die Sterbliche von den Lichtelfen abstammte, weil nur dies eine erfolgreiche Wandlung zu ermöglichen schien. Mochte diese Verwandtschaft in noch so weiter Ferne liegen, entweder man schmeckte sie im Blut seiner Auserwählten oder man ließ die Finger von diesem Experiment. Doch darüber machte sich der Dunkelelf offensichtlich wenig Gedanken. Er versuchte die Transformation gleich beim ersten Biss und natürlich ging etwas schief.
    Vivianne wusste nicht, was genau geschehen war, aber als Nächstes spürte sie das

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