Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
wenn du weißt, was ich meine.» Er lachte und begann gleich darauf zu husten.
    «Der Bengel», damit war offenbar der Lauscher gemeint. Er hoffte, Vater würde nur ein Mal das Richtige tun und dem Schwein an die Gurgel gehen, um ihn zu erwürgen. Doch dann hörte er ein leises «Einverstanden!». George lachte erneut, Schulterklopfen war zu hören und das Öffnen einer weiteren Flasche. Vivianne wandte sich ab, um die heißen Tränen zu verbergen, die über ihre Wangen liefen.
    «Sauber?», fragte Morgan und ließ ihr keine Zeit zu antworten. «In einer halben Stunde geht die Sonne auf.»
    Das Wasser war kalt, vom Schaum nicht mehr viel übrig. Vivianne blies über die fast klare Wasseroberfläche und bemühte sich, ihre Gedanken ins Diesseits zurückzuholen. Sie stand auf. «Ich habe geträumt!»
    Morgan hob eine Augenbraue, verhielt sich dann aber ausnahmsweise wie ein Gentleman und bemühte sich, sie nicht anzustarren, während er ihr ein Badehandtuch entgegenhielt. Sie hüllte sich in das kuschelige Tuch, das zu ihrem größten Erstaunen vorgewärmt war, und drehte sich zu ihm um. Nicht bedacht hatte sie dabei, dass Morgan so verflixt dicht vor ihr stehen würde. Und überraschend war auch die Reaktion ihres Körpers auf seine Nähe. «Was willst du?» Viviannes Stimme klang nicht im Mindesten so forsch wie erhofft.
    Dich! , wäre die passende Antwort zu seinem Gesichtsausdruck gewesen. Atemlos erwartete sie seine Berührungen. Er hob eine Hand, als wolle er über Viviannes Wange streichen. Ließ sie dann aber sinken, fasste Vivianne an den Schultern, drehte sie um und gab ihr einen sanften Stoß. «Geh schlafen. Wir haben morgen viel zu tun.» Sie ging, die ersten Schritte zögernd, dann rascher in ihr Zimmer. Die Tür fiel laut ins Schloss. Bald darauf krochen die Sonnenstrahlen über den Horizont und draußen begann ein neuer Tag.
    Nach dem Aufwachen erwartete sie keine häusliche Szene, so wie noch am Vorabend. Nur ein Zettel lag auf dem Tisch:
    Guten Abend!
    Geh nicht alleine los.
    Bin bald zurück.
    M.
    Ich soll hier bleiben? «Was bildet der sich ein!» Wäre da nicht sein, wenn auch spartanischer Gruß gewesen, sie hätte Lust gehabt, die ganze Wohnung kurz und klein zu schlagen. Stattdessen bewegte sich Vivianne mit betont ruhigen Schritten in Richtung Kühlschrank. Alles sprach dafür, dass sie heute ausreichend Zeit für ein ausgiebiges Frühstück haben würde. Nur hatte sie heute keine Lust darauf, sondern wollte lieber etwas unternehmen. Ihre geschundenen Füße waren wie neu und der Blutkristall immer noch nicht aufgespürt. Was haben wir denn da? AB-negativ war geradezu unerschwinglich? Wunderbar! Sie schob die Blutkonserven aus billigem Plastik beiseite, griff nach der kostbaren Flasche, setzte sie an ihre trockenen Lippen und trank das Blut im Gegenwert von mehreren Hundert Euro ohne Luft zu holen. Die Flasche landete im Müll. Morgan würde bald Nachschub besorgen müssen, wenn er sie bei Laune halten wollte. Angeekelt sah sie an sich herab: ausgeleiertes T-Shirt, viel zu kurz, bloße Füße. Am Fußende ihres Bettes wartete ein Ensemble, das sie gewiss nicht noch einen Tag tragen würde. Vivianne warf dem Kleiderhaufen einen abschätzigen Blick zu und begann, in ihrer Reisetasche zu wühlen. Wie befürchtet gab es darin kein einziges brauchbares Kleidungsstück. Ob Morgan mit Absicht ihre längst aussortierten Klamotten eingepackt hatte? Sehr wahrscheinlich. Sie überlegte sich ein paar Foltermethoden, mit denen sie sich beizeiten für seine Gemeinheit rächen würde, und lehnte sich schließlich befriedigt zurück. Ähnliche Fantasien hatten ihr noch über jeden Ärger hinweggeholfen. Morgan käme gewiss nicht ungestraft davon – andererseits, was konnte man schon von einem schlichten Gemüt wie dem seinen erwarten? Modisches Gespür gewiss nicht. Obwohl er gestern eigentlich nicht schlecht ausgesehen hatte. Sein bodenlanger Mantel bewegte sich bei jedem Schritt, ledernen Flügeln gleich, die sich träge im Wind blähten. Sie hatte so etwas schon einmal in einem Roman gelesen und fühlte sich bei Morgans Anblick daran erinnert. Einer großen Vorstellungskraft hatte es nicht bedurft, um sich seinen gut trainierten Körper unter der Jeans und dem ausgewaschenen T-Shirt vorzustellen. «Lecker», hätte Hortense gesagt, als sie noch Marie Marchand war. Sie hatte von Anfang an Viviannes Begeisterung für die Eleganz eines erstklassig sitzenden Businessanzugs nicht teilen können. Im Gegensatz zu

Weitere Kostenlose Bücher