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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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schlimmer als ein menschliches Hirn sie sich ausdenken konnte, gingen durch die Jahrhunderte in Einsamkeit und nicht selten Furcht, doch statt zu zerbrechen, wurden die meisten von ihnen härter, gerissener und leidensfähiger. Vivianne war weder alt noch hatte sie nach ihrer ungewöhnlich frühen Transformation jemals wieder einen Grund gehabt, Schmerzen ertragen zu müssen. Und während ihre männlichen Altersgenossen meist ihrem Schicksal überlassen wurden, hatte Viviannes Familie alles getan, um der einzigartigen Tochter den Übergang von der jungen, sterblichen Frau mit den Genen der Dunkelelfen zum unsterblichen Geschöpf der Nacht so weit wie möglich zu erleichtern. Gewiss, die Wandlungsphase war unangenehm gewesen, doch daran erinnerte sie sich kaum noch. Derweil sie neben Morgan über Berlins Trottoirs hetzte, wünschte sie sich allerdings ein bisschen mehr Übung im Zähnezusammenbeißen. Nachdem er sie durch die halbe Stadt, in ein Dutzend Cafés und Bars geschleppt hatte, hätte sie am liebsten ihre eleganten Pumps ausgezogen und in den nächsten Mülleimer gestopft. Nur war es unwahrscheinlich, dass Morgan irgendwo anhalten würde, damit sie sich in Ruhe ein Paar bequemere Schuhe kaufen konnte. Geeignete Geschäfte hätte es schon gegeben. Allein die unangenehme Vorstellung, ebenfalls barfuß über die holprigen Bürgersteige – War das nicht der korrekte Begriff in einer post-revolutionären Demokratie? – laufen zu müssen, gab ihr die Kraft durchzuhalten. Ihrer Meinung nach waren die Berliner verrückt. Ihre – wie auch immer man sie nennen mochte – Fußwege waren mit großen, rechteckigen Platten gepflastert, wie man sie eher im alten Rom erwartet hätte. Und wie um diese antike Großzügigkeit wieder zurückzunehmen, hatte man rechts und links davon einen Streifen mit winzigen Granitquadern angelegt, die fast wie ein einfarbiges Mosaik wirkten. Zusammen ergab das den «Highway to Hell». Jedenfalls für ihre Pumps. Fast schon angenehmer wirkte da die festgetretene Erde um jeden der Bäume, die, in regelmäßigen Abständen aufgereiht, die meisten Straßen säumten. Gerne wäre sie darauf ausgewichen, aber angesichts der großzügig verteilten Hundehäufchen empfahl sich das nicht. Morgan nahm keinerlei Rücksicht auf ihre Schwierigkeiten, und ehe sie begriff, was geschah, war sie schon ausgeglitten. Er fasste blitzschnell ihren Ellenbogen.
    «Igitt!» Angeekelt hob sie den Fuß, um ihre Schuhsohle zu inspizieren, und wollte plötzlich gar nicht mehr so genau wissen, was sie so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Es war braun, schmierig und endete Millimeter vor den nagelneuen Strümpfen, die sie wenige Tage zuvor ein kleines Vermögen gekostet hatten. «Hast du mal ein Taschentuch?» Vivianne hasste es, ihn um etwas bitten zu müssen. «Ach, lass mal. Es geht schon.» Sie humpelte zur Bordsteinkante und streifte den Dreck daran ab. «Das stinkt zum Himmel. Keine Ahnung, was dieser Köter gefressen hat. Er muss außerdem mindestens die Größe eines ausgewachsenen Zerberus gehabt haben.»
    «Still!» Morgan zog sie in einen Hauseingang, und kurz darauf hörte sie ein Rauschen, ähnlich dem Flügelschlag eines großen Vogels.
    «Was war das?», flüsterte sie aufgeregt und dachte an Nabrah. Doch den Raben hatte sie zuletzt in Paris gesehen, und wie er plötzlich hier auftauchen sollte, war ihr ein Rätsel.
    «Das wüsste ich auch gern.» Morgan schüttelte ärgerlich den Kopf, er hatte andere Sorgen. «Es ist sinnlos. Niemand scheint den Dieb gesehen zu haben, vielleicht hatte Cyron mehr Glück.»
    Das hoffte Vivianne auch, und ehe sie sich versah, standen sie vor dem Eisentor, das Morgans Revier von der Außenwelt abgrenzte. Endlich! Sie konnte es nicht erwarten, ihre schmerzenden Füße in warmem
Wasser zu baden. «Und wenn ich dafür in diese exponierte Badewanne steigen muss – meinetwegen, mir ist alles gleich», murmelte sie verdrossen.
    Morgans breitem Rücken war nichts anzusehen, als er vor ihr die unbeleuchteten Treppen zu seiner Wohnung hinaufstieg, aber sie hatte den Verdacht, dass er lachte. Immerhin ließ er ihr genügend Privatsphäre, damit sie sich wenig später unbeobachtet in einen herrlich dichten Schaum sinken lassen konnte. Kaum zu glauben, dass dieser Purist, der inzwischen schon wieder konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops starrte, über derart wohlriechende Badezusätze verfügte. Vivianne scherte sich nicht darum, ob jemand aus dem Haus gegenüber sie

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