Der Blutkristall
seine Freundin ist, und verdünnisierte sich nach Einbruch der Dunkelheit. Spricht für ihn, würde ich sagen.»
«Und legt die Vermutung nahe, dass sein Auftraggeber jemand ist, der vorwiegend nachts unterwegs ist.»
«Du glaubst also auch, dass er nur ein Handlanger ist?», mischte sich Vivianne ein. «Du warst es doch, der ihn im Zug beobachtet hat, oder?» Cyron sah in Morgans Richtung, als wolle er sagen: Siehst du, sie ist nicht dumm! Vivianne bohrte weiter. «Warum hast du ihm dann nicht einfach den Blutkristall abgenommen?»
Morgan antwortete für ihn. «Weil dein sonnenanbetender Freund hier ein Philanthrop ist.» Er klang verächtlich.
«Jetzt übertreib mal nicht. Bloß weil ich nichts gegen die Sterblichen habe, muss ich sie noch lange nicht lieben. Dich sollte lieber interessieren, wer hinter dem Raub steckt.»
«Ihr denkt also beide, es geht um etwas Größeres?» Viviannes Worte klangen eher wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.
«Das glaube ich mehr denn je, seit ich weiß, was wirklich gestohlen wurde.» Morgan sah sie dabei nicht an. «Höchst unwahrscheinlich, dass Sterbliche ein Interesse an dem einzigartigen Charme des Blutkristalls haben. Sie sind nur scharf darauf, ihn meistbietend zu verkaufen. Ihnen erschließt sich seine Magie doch gar nicht.» Er wirkte verwirrt. «Irgendetwas habe ich übersehen. Aber ich komme noch drauf!»
Vivianne sah alarmiert zu Cyron. Der Elf lächelte sie beruhigend an. «Ich denke, Morgan hat recht. Hinter dem Diebstahl steckt – mal wieder, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – ein Vampir, und wir sollten herausfinden, wer es ist, bevor sein unwürdiger Komplize die Beute abgibt.»
Damit erhob er sich, nickte ihnen zu und verließ mit langen Schritten das Café.
«Unwürdig?» Morgan sah ihm nachdenklich hinterher.
Vivianne beschäftigte etwas anderes. «Hast du ein Problem mit seiner Herkunft?» Sie konnte sich diese Frage nicht verkneifen.
«Du meinst, weil er Franzose ist?» Dieser Kerl schienen nichts wirklich ernst zu nehmen. Vivianne runzelte die Stirn, bereit ihm zu erklären, was sie von seiner Antwort hielt, doch Morgan sprach schon weiter: «Er ist ein manipulativer Schönling, der sich aus allem heraushält und so ziemlich jeden, der das Missvergnügen hat, ihm über den Weg zu laufen, erfolgreich an der Nase herumführt. Warum sollte ich etwas gegen ihn haben?»
«Das klingt nach einer tiefen Freundschaft. Ich nehme an, ihr kennt euch schon länger?»
«Kann man sagen.» Wieder einmal blieb Morgan in seinen Antworten vage, und Vivianne hätte am liebsten die Schicksalsgöttin verflucht, die ihr ausgerechnet diesen Vampir zur Seite gestellt hatte, um den Blutkristall wiederzufinden. Er sah ja nicht einmal wie ein richtiger Vampir aus, mit seinem blonden Strubbelschopf, und schon wieder trug er keine Schuhe. Selbst ein Lichtelf wie Cyron wirkte in der Rolle des tödlichen Finsterlings überzeugender. Schon wollte sie eine Bemerkung zum fehlenden Schuhwerk machen, da winkte Morgan der Bedienung. «Zahlen, bitte.»
«Ich kann meine Rechnungen selbst begleichen!» Was bildete er sich ein?
«Tatsächlich? Und wie lange soll dein Taschengeld reichen, wenn du weder Kredit- noch EC-Karten benutzen kannst, ohne deine Paten auf unsere Spur zu locken?»
Zu gerne hätte sie ihm widersprochen, weil ihr aber keinerlei vernünftige Gegenargumente einfielen, knurrte sie schließlich: «Ich verdiene mein eigenes Geld und zahle dir alles zurück!»
«Ich bitte darum.» Morgan schob den Stuhl zurück und stand auf. «Es ist wohl keine Option, dass du in meiner Wohnung auf mich wartest, während ich Erkundigungen einziehe?»
«Auf gar keinen Fall!»
«Das hatte ich befürchtet. Also dann mal los.»
Kapitel 6
Während jedermann annahm, Vampire wären hart im Nehmen, war genau genommen das Gegenteil der Fall. Ihre Lebenserwartung mochte gegen unendlich gehen und ihre Sinne funktionierten besser als bei jedem anderen Lebewesen, Lichtelfen einmal ausgenommen, aber sie alle waren deshalb auch sensibler als gewöhnliche Sterbliche, und besonders die Vampire – zumindest nahmen sie dies für sich in Anspruch – spürten eine sinnliche Begegnung tausendmal stärker als beispielsweise ein Mensch. Dies galt leider ebenso für Schmerzen aller Art. Nur jahrhundertelanges Training erlaubte es geschaffenen Vampiren wie Dunkelelfen gleichermaßen, nahezu jede der ihnen zugefügten Qualen wortlos zu ertragen. Sie überlebten Misshandlungen und Folter,
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