Der Blutkristall
entfaltete. Glamour, das war Feenstaub, der sie wahrscheinlich auch unwiderstehlich gemacht hätte, wäre sie hässlich wie eine alte Vettel gewesen. Die Lichtelfen waren berüchtigt für solche Tricks, aber wer würde dies bei einer einfachen Vampirin erwarten? «Bist du so weit?»
Morgan schien aus seiner Starre zu erwachen. «Donnerwetter!», sagte er, und das klang in seiner altmodischen Art so ehrlich, dass sie laut lachte und sich bei ihm unterhakte. «Schön, dass es dir gefällt. Lass uns gehen.»
«Gefallen» war nicht der Begriff, der Morgan bei ihrem Anblick in den Sinn gekommen war. Natürlich hatte er sie von Anfang an attraktiv gefunden, außerordentlich sogar, wenn er ehrlich war. Aber dieses sündige Kleid machte sie zu einer Göttin, die ihresgleichen suchte, und er begann zu begreifen, warum ihre Paten auch jetzt noch eine schützende Hand über sie hielten. Er konnte nur hoffen, dass er sie nicht mit offenem Mund angestarrt und sich dabei völlig zum Idioten gemacht hatte. Das Wasser war ihm beim Anblick dieser personifizierten Verlockung ganz bestimmt im Mund zusammengelaufen. Ein solches Juwel hätte nicht einmal ein Wahnsinniger länger unbeaufsichtigt gelassen, und Morgan fragte sich, wann wenigstens einer der Causantíns auftauchen würde, um seinen Besitz zurückzufordern.
Er konzentrierte sich wieder auf die bevorstehenden Aufgaben. Dieses Mal durchquerten sie auf ihrem Weg zum Haupthaus den Garten oberirdisch. Fackeln erleuchteten die gepflegten Wege. Ihre Flammen flackerten in der leichten Brise, die vom See herüberwehte und den Geruch von dunkler Erde und Spätherbst mit sich brachte.
Morgan berührte Viviannes Hand, um sicher zu sein, dass ihm ihre gesamte Aufmerksamkeit galt. «Sobald der offizielle Teil vorbei ist, werde ich mich genauer in der Villa umsehen. Ich glaube kaum, dass Carl den Dieb so ohne Weiteres gehen lassen wird.»
Von der Aussicht, den Vampiren der Stadt allein entgegentreten zu müssen, war sie nicht begeistert. Dies zuzugeben wäre ihr jedoch nicht einmal im Traum eingefallen. «Ich verstehe immer noch nicht, warum er so leichtsinnig war, hierher zu kommen.»
«Vielleicht ist er größenwahnsinnig geworden. Immerhin hat ihn der Blutkristall bisher beschützt. Er konnte sich mehrfach unserer Überwachung entziehen und auch Cyron war nicht dazu zu bewegen, Hand an ihn zu legen.»
«Ich dachte, dein Freund ist so ein friedliebender Zeitgenosse.» Vivianne blieb überrascht stehen.
Morgan gab ein trockenes Lachen von sich. «So friedliebend, wie ein Elf eben sein kann, dem es seit Jahrhunderten gelingt, sich der Kontrolle der Feenkönigin zu entziehen.»
Vivianne mochte jetzt nicht über die verborgenen Seiten ihres Freundes nachdenken. «Apropos Jahrhunderte. In welchem Zeitalter ist denn unser Statthalter stecken geblieben?»
Jetzt klang Morgans Stimme amüsiert. «Absolutismus, würde ich vermuten. Und man tut gut daran, seine Spielregeln zu beachten.» Vivianne hörte die unausgesprochene Warnung hinter seinen Worten. Dennoch sagte sie: «Fein, du scheinst dich mit den höfischen Sitten auszukennen, aber ich habe darin wenig Erfahrung. Das ist ein bisschen rückständig ... wenn du weißt, was ich meine.»
Er drückte beruhigend ihre Hand. «Mach dir keine Sorgen, ich bin ja bei dir. Und ich könnte schwören, so wie du heute aussiehst, wird sogar unser Patriarch über den einen oder anderen kleinen Fauxpas hinwegsehen.»
Vivianne nahm sein überraschendes Kompliment erfreut entgegen. Es hatte ehrlich geklungen, und das gab ihr die Zuversicht, mit seiner Hilfe den Abend durchstehen zu können. Gemeinsam betraten sie den Festsaal. Die Luft knisterte von all den unterdrückten Gefühlen und der Magie der Gäste. Vorerst waren nur wenige Sterbliche anwesend. Vermutlich Blutsklaven wie das Mädchen, das ihnen vorhin seine Dienste angeboten hatte. Sie war erstaunt gewesen, dass Morgan abgelehnt hatte, aber als sie länger darüber nachdachte, erkannte sie, dass es nicht zum bisherigen Verhalten ihres Begleiters gepasst hätte. Morgan machte nicht den Eindruck, zu den Vampiren zu gehören, die Geschmack daran fanden, sich an einer vermutlich in ihre Dienste gepresste Bluthure zu vergehen. Seine Körpersprache verriet zwar nichts, aber das dekadente Ambiente, das der Statthalter geschaffen hatte, gefiel ihm gewiss nicht, sonst hätte er sich doch zumindest dem Anlass entsprechend elegant gekleidet, wie es alle anderen Gäste getan hatten. Dies war gewiss nicht
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