Der Blutkristall
Künste.
Sie würde sich in Acht nehmen müssen. Andererseits konnte es nicht schaden, einen mächtigen Beschützer an ihrer Seite zu haben, bis Morgan wieder auftauchte. Der Statthalter, da war sie sicher, würde sich ein Loch in den dicken Bauch ärgern. Außerdem, das war ebenfalls klar, wären früher oder später ohnehin alle Schürzenjäger hinter ihr her. Und dies hatte nicht einmal etwas mit ihrer Herkunft zu tun, sondern einfach damit, dass sie neu in der Stadt war. Frischfleisch , wie Cyron es so ungalant formuliert hatte, als sie sich vor langer Zeit bei ihm darüber beklagt hatte.
Als vorübergehender Begleiter war er also nicht die schlechteste Wahl. Sie wollte den Kontakt zu Ihresgleichen so gering wie möglich halten, er lebte in einer anderen Stadt, und mit ein bisschen Glück reiste er bald wieder ab und hatte sie vergessen. Noch war es aber nicht so weit, seine Augen glitzerten.
«Vivianne Cirta?», unterbrach er ihre Gedanken. «Ah, die schöne Französin! Der ganze Hof spricht schon von dem entzückenden Neuzugang.» Er schlug sich theatralisch an die Brust. «Welch ein Glück, dass ich als Erster deine Bekanntschaft machen darf!»
Vivianne musste trotz ihres Misstrauens lachen und drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger. «Ich habe von Ihnen gehört, Lord Rochester.»
«Ach Gott, jetzt ist es raus. Ich bin es. Der, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, völlig zu unrecht diskreditierte Graf von Rochester. Wie jede anständige junge Dame bist auch du vor mir gewarnt worden, fürchte ich!» Er seufzte. «Sag nichts! Ich kann es in deinen Augen lesen. Aber nenn mich bitte Sebastian.»
So schlimm konnte jemand mit diesen Manieren doch nicht sein. Eine Stimme in ihr allerdings warnte davor, auf die glatten Worte hereinzufallen, die schon am Hof von Charles II. gefürchtet gewesen waren. Sie würde vorsichtig sein. «Also gut, von mir aus: Sebastian. Ich schlage dir einen Deal vor. Ich sehe über deinen Ruf hinweg, wenn du mir die Blutsauger vom Hals hältst.» Vivianne lachte übermütig. «Und jetzt möchte ich gerne wissen, ob dieser ‹Hof› etwas Schockierenderes zu bieten hat als ein paar außergewöhnlich talentierte Akrobaten.»
«Eine Frau nach meinem Geschmack. Du wirst deine Entscheidung nicht bereuen!» Er fasste ihre Hand, und sie ließ es geschehen. Für den Moment , beruhigte sie sich. «Schließ deine Augen!» Vivianne zögerte.
«Bitte.» Das Zauberwort. Die Vampire in ihrer Umgebung gaben ihr sonst nur Befehle. Eine angenehme Abwechslung. Sie tat also, was er wollte, und spürte sofort eine verwirrende Leichtigkeit. Als sie ihre Augen wieder aufschlug, waren die verführerischen Herzschläge der Tanzenden auf einmal bedeutungslos. Zwei Welten hatten sich übereinandergeschoben. Sie waren zu Grenzgängern geworden, lebten in ihrem eigenen Universum mitten unter den ahnungslosen Gästen. Sie sah sich genauer um und erstaunt bemerkte sie, dass einige wenige Sterbliche offenbar nach Belieben die dünnen Trennlinien überschreiten konnten. «Nicht nach Belieben», erklärte Sebastian schmunzelnd. «Das sind Blutsklaven. Sie verzehren sich danach, uns zu dienen, und damit sie ihr kleines Geheimnis bewahren, bekommen sie einen Tropfen Vampirblut und sind so an ihren Herrn in ewiger Treue gebunden. Vivianne schauderte es bei der Vorstellung, in einer solchen Abhängigkeit leben zu müssen. «Glaub mir, es gefällt ihnen. Bist nicht auch du freiwillig zu einer von uns geworden?»
Sie hob erstaunt eine Augenbraue, ganz nach aristokratischer Manier und sah Sebastian fragend an.
«Bitte entschuldige. Das kann man natürlich nicht vergleichen!» Er machte eine beschwichtigende Handbewegung, aber Vivianne ließ sich nicht täuschen. Er verachtete sie und hätte dies wahrscheinlich selbst dann getan, wäre sie die leibliche Tochter Ludwig XV. gewesen. Eine Prinzessin also, von der sie zufällig wusste, dass sie noch heute glücklich mit ihrem Paten zusammenlebte, der sie in einem Anfall von Sentimentalität vor dem Schafott gerettet hatte, weil er sich unsterblich in ihre grünen Augen verliebt hatte.
Da Sebastian sie offenbar leichter zu lesen vermochte, als es ihr lieb sein konnte, berührte sie kurz ihr Armband, dessen Energie sofort dafür sorgte, dass ihr größtes Geheimnis gewahrt blieb. Dabei schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, um die Magie zu verbergen, die von dem schlichten Schmuck ausging. «Es ist wunderbar!» Vivianne eilte durch den Saal. Sebastian folgte ihr,
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