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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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seine Welt, und merkwürdigerweise fühlte sich auch Vivianne, die elegante Bälle normalerweise liebte, heute unter ihresgleichen nicht recht wohl.
    An ihrer eigenen Kleiderwahl konnte das nicht liegen, damit war sie sehr zufrieden. Dennoch wünschte sie sich plötzlich, ein Cape oder zumindest ein Schal würde ihre freien Schultern bedecken, obwohl sich an diesem Abend viele Damen dazu entschieden hatten, tief dekolletierte Kleider und große Roben zu tragen. Gläser klirrten und junge Frauen in einer merkwürdigen Verkleidung servierten Getränke. Über dem Raum lag der Geruch von Blut, und Viviannes Knie begannen zu zittern. Morgan hielt ihre Hand und murmelte fremdartige Worte, die eine beruhigende Wirkung zu haben schienen. Sie straffte sich und zwang ein verhaltenes Lächeln auf ihre Lippen. Sie wusste, wie sie in diesem Augenblick aussah: jung, verletzlich, aber mit einer aristokratischen Aura, die ihr einfach in die Wiege gelegt worden war. Vereinzelt verstummten Gespräche. Blicke bohrten sich in ihren Rücken, einige musterten sie auch ganz offen. Eine Blondine öffnete den Mund, zweifellos, um etwas Unfreundliches zu sagen, aber verstummte, als ihr Begleiter ihr etwas zuflüsterte. Der Vampir lächelte dabei und ließ seine Reißzähne sehen. Morgan, der sich nicht die
Mühe gemacht hatte, seine Kleidung zu wechseln, provozierte damit etliche abfällig klingende Kommentare. Er schritt jedoch mit derselben Noblesse an all den elegant gekleideten Gästen vorbei wie Vivianne. Eben so, als prange kein verwaschener Totenkopf auf seinem T-Shirt und als sei sein langer Ledermantel aus purpurnem Samt. Beinahe, überlegte sie, gab er sich wie ein geborener Vampir, dessen lange Ahnenreihe außergewöhnlicher Dunkelelfen bis in die Anfänge der Zeit zurückverfolgt werden konnte. Vivianne fühlte einen eigenartigen Stolz auf ihren Begleiter und glitt mit hoch erhobenem Kinn wie eine Königin an seiner Seite durch den Saal. Beide reihten sich schließlich in die Schlange Wartender ein, die dem Statthalter nacheinander präsentiert wurden. Carl, der in makelloser Abendgarderobe neben dem Thron stand, musterte sie mit kalten Augen.
    War das etwa die Marseillaise, die Morgan summte, als sie an die Reihe kamen und auf ein Zeichen des Majordomus hin vortraten? Vivianne sank in ihren ersten und hoffentlich dennoch angemessenen Hofknicks, wie sie es bei den anderen Damen gesehen hatte. Zu Hause hatte ihre Mutter vergeblich versucht, ihr diesen Teil des Zeremoniells beizubringen. Es war nämlich nichts Ungewöhnliches, wenn es bei feierlichen Zusammenkünften der magischen Gemeinde formell zuging. Viele Vampire mochten sich äußerlich an die veränderten Lebensgewohnheiten der Menschen anpassen, im Herzen aber blieben nicht wenige der Epoche verhaftet, in der sie ihre ersten Jahre erlebt hatten. Also musste geübt werden, entschieden ihre Eltern. Vivianne, damals noch sterblich und ein Mädchen von kaum zwölf Jahren, verlor immer wieder das Gleichgewicht, und schließlich lagen sich Mutter und Tochter laut kichernd in den Armen, sodass der Vater hereingeschaut hatte, um zu sehen, was da los war. Sie hatte, anders als ihre Brüder, die ganz traditionell in Pflegefamilien aufgewachsen waren, eine wunderbare und behütete Kindheit.
    Heute gelang der Knicks einwandfrei. Vivianne senkte bereitwillig ihren Kopf und verbarg dabei ein Schmunzeln.
    Der Statthalter blinzelte überrascht, als er ihre Verwandlung zum Vamp bemerkte, und grinste dann, als wäre dies sein Verdienst. «Willkommen in unserem Haus, mein Täubchen!» Morgan warf er einen ärgerlichen Blick zu, sagte aber nichts. Carl entließ sie mit einer ungeduldigen Handbewegung, und schon trat der nächste Besucher vor. Endlich war die Audienz beendet und die großen Flügeltüren öffneten sich zu einem weiteren Saal, in dem bald darauf die ersten sterblichen Gäste eintrafen. Eine Band spielte, das Buffet war opulent bestückt, und nur die Vampire hielten sich naturgemäß zurück, als dieses nach einer kurzen Ansprache des Gastgebers offiziell eröffnet wurde. Ihnen wurden allerdings neben exzellenten Weinen weiterhin Blutcocktails angeboten. Vivianne entschied sich für ein Glas Champagner. Sie war sich inzwischen sicher, dass der Rat nicht wusste, wie man im Berliner Département seine Partys feierte. Ihre Brüder, davon war sie überzeugt, würden niemals an Festivitäten teilnehmen, zu denen Sterbliche geladen waren, die nichts von der Existenz ihrer Welt wissen

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