Der Blutkristall
niemals willkommener gewesen war. «Vivianne ...», hob er an, doch dann erstarrte er in der Bewegung und lauschte. «Sie suchen ihn bereits. Glaubst du, du kannst allein zurücksegeln?»
«Über den See?» Sie konnte die Panik nicht vollständig aus ihrer Stimme verbannen.
«Ich fürchte, es muss sein. Wenn du zur gleichen Zeit verschwindest wie unser Freund hier, könnte man auf dumme Gedanken kommen. Hast du Spuren hinterlassen?»
Sie dachte an den Dornenzweig, der sie verletzt hatte.
Cyron wartete eine Antwort gar nicht ab. «Morgan wird in Kürze wieder da sein. Bitte versuche, in eurem Gästeapartment zu bleiben, bis er zurückgekehrt ist. Er wird dir helfen.»
«Glaubst du?» Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus, obwohl sie wusste, dass Morgan ihre Befreiungsaktion nicht gutheißen würde. Immerhin war aber Cyron nach eigener Aussage schon ewig mit Morgan befreundet, warum sollte er sie also belügen. Dafür gäbe es viele Gründe , flüsterte ihr Unterbewusstsein, aber sie weigerte sich, der missgünstigen Stimme weiter zu lauschen. «Ich kann nicht segeln», gab sie stattdessen leise zu.
«Das ist kein Problem. Du musst nur das Boot drüben am Steg anbinden und sofort in den Bungalow gehen.»
«Kennst du meine Paten?»
Cyron warf einen Blick auf Salai, der ihnen wortlos zuhörte, und lachte. «Natürlich. Und glaub mir, ich habe ebenso wenig Lust auf ein Massaker, sollte dir etwas zustoßen, wie du selbst. Mach alles so, wie ich es dir gesagt habe, und nichts wird geschehen.»
Vivianne hatte ihm nicht mit der Rache ihrer Brüder drohen wollen und schämte sich jetzt ein wenig für diesen Versuch. Sie drehte sich wortlos um, verließ das halb verfallene Haus und lief zurück zum Seeufer. Das Boot schaukelte scheinbar harmlos auf den Wellen. Sie fasste sich ein Herz, sprang hinein und zog an dem Tau, das Cyron um einen Pfosten am Steg geschlungen hatte. Kaum war der Knoten gelöst, schossen die beiden Segel den Mast hinauf und das kleine Schiffchen nahm überraschend schnell Fahrt auf, sodass Vivianne ihr Gleichgewicht verlor und ziemlich heftig auf dem Hintern landete. Überrascht beobachtete sie aus dieser Perspektive, wie eine unsichtbare Hand das Ruder zu bedienen schien und plötzlich fiel ihr die Herrin vom See ein. Mancherorts «Viviane» genannt, und somit ihre Namensvetterin, war diese Sagengestalt allgemein als Fee bekannt. Ein Kichern sprudelte aus der Tiefe zu ihr herauf, und das Boot flog über das dunkle Wasser, bis das Rauschen des Windes in ihren Ohren alles war, was sie noch hören konnte. Vivianne begann gerade, sich an die rasende Fahrt zu gewöhnen, da verlor ihr Gefährt schon wieder an Geschwindigkeit, es tauchte ein in sein Element und sie glitten nunmehr lautlos über das Wasser, bis sie den kleinen Hafen des Statthalters erreichten. Die Segel glitten den Mast hinab, Holz stieß auf Holz, Wasser gluckerte und ihr geheimnisvoller Steuermann machte das Boot zwischen zwei weit größeren fest. Vivianne sprang hinaus und lief den Steg entlang, dann drehte sie sich noch einmal um und winkte. Vielen Dank!
Kapitel 9
«Was machen Sie hier?» Eine schwere Hand landete auf ihrer Schulter. Aber die Wellen plätscherten beruhigend, Vivianne war nicht unvorbereitet und sah den Wachmann freundlich an. «Ich war auf dem See.»
«Warum?» Er schien verdutzt. «Es ist mitten in der Nacht.»
«Habe ich etwas falsch gemacht? Der Statthalter sagte, uns stünden alle Annehmlichkeiten seines Hauses zur Verfügung.»
«Lass sie!» Die Stimme eines Vampirs. Wieder hatte sie ihn erst in letzter Sekunde kommen hören. «Mademoiselle Vivianne, nicht wahr?», fragte er und sie hob ihr Kinn ein wenig höher, bevor sie ihm antwortete: «Ganz recht. Was ist hier los?»
«Nur ein Sicherheitscheck.» Sie spürte, dass er versucht war, ihre Gedanken zu lesen. Doch rasch ließ der Druck in ihrem Kopf nach. Hin- und hergerissen zwischen der erforderlichen Etikette und der dringenden Notwendigkeit, seinen Job zu machen, entschied er sich schließlich für die Höflichkeit und fragte: «Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?»
«Außer dem da?» Vivianne machte eine vage Handbewegung und sofort zog sich der Wachmann zurück. «Man hat mir versichert, dass der Statthalter von Berlin ein absolut sicheres Refugium bietet.» Sie legte genau die richtige Mischung aus Beunruhigung und Ärger in ihre Stimme. «Gibt es Anlass zur Sorge?»
«Auf gar keinen Fall!» Jetzt war der Vampir deutlich bemüht sie
Weitere Kostenlose Bücher