Der Blutkristall
Vivianne machte einen Plan und erhob sich lautlos, um ihn in die Realität umzusetzen.
«Hey!» Sie schwankte über das holprige Pflaster vor dem Stalltor. «Kann mir mal jemand sagen ...»
Der Vampir war bei ihr, bevor sie den Satz beendet hatte. «Was hast du hier verloren?» Seine Stimme klang scharf, und sie musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass seine Reißzähne gut sichtbar wären, sobald er den Mund öffnete.
Sie kicherte und machte einen Schritt auf ihn zu. «Hallo, mein schöner Ritter. Du kommst mir wie gerufen.» Vivianne ließ sich gegen ihn fallen und legte einen Arm um seinen Hals, ehe er sich gegen sie wehren konnte. «Du bist so stark!», nuschelte sie und hoffte dabei, dass ihre Vorstellung von einer jungen Vampirin auf einem Blut-High überzeugend genug war. Das Spiel fiel ihr nicht schwer, denn schon nach einem Schluck des Blutes, das ihr Sebastian vorhin angeboten hatte, hatte sie die magische Wirkung des Cocktails gespürt und in Morgans Nähe beinahe die Selbstbeherrschung verloren. Sie hatte sich früher selbst gelegentlich solche Drinks gemixt, bis zu dem Tag, als sie im Überschwang einen sterblichen Liebhaber fast getötet hätte. Das erfolgreiche Model sollte sich niemals wieder von dieser Nacht mit seiner Chefin erholen und war fortan für die Welt verloren. Kieran hatte einen Wutanfall bekommen, wie sie ihn zuvor noch nie erlebt hatte. Im Anschluss an diesen peinlichen Zwischenfall, der kurz nach der Sache mit dem herzkranken Liebhaber passiert war, musste er sie mit dem Bann belegt haben, der jeden Mann, ob sterblich oder nicht, in die Flucht schlug, sobald sie sich für ihn zu interessieren begann. Jedenfalls nahm sie dies an. Aber auch ohne diese überzogene Bestrafung hätte sie das Zeug nie wieder angerührt. Wenn Vivianne eines hasste, dann war es, fremdbestimmt zu sein. Und diese Drogen hatten ihr die Kontrolle über ihre Freiheit weit mehr geraubt als ihre dominante Familie.
Doch jetzt war sie ganz wach und musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Sie lehnte sich an den Vampir, der netter aussah, als er sich bisher gegeben hatte. Ihr Atem beschleunigte sich, und als er nicht sofort darauf reagierte, unterstrich sie ihr Anliegen mit ein paar eindeutigen Hüftbewegungen. Dieser Ganzkörpereinsatz verfehlte seine Wirkung nicht. Er legte seinen Arm um ihre Taille. «Komm her, Mädchen!» Dann versuchte er, sie an die Hauswand zu pressen und zu küssen. Vivianne öffnete die Lippen, ihre Augenlider flatterten. Ihre Erregung war jetzt nicht mehr gespielt. Sie schenkte dem Vampir ein Lächeln und stieß zu. Er sackte
lautlos zusammen. Erleichtert stieg sie über den dunklen Haufen zu ihren Füßen und zog den kleinen Dolch aus der Wunde, die sich sofort wieder zu schließen begann. Dennoch blieb ihr Opfer bewegungslos liegen. Kieran hatte nicht zu viel versprochen, als er ihr die Wirkung dieser unscheinbaren Waffe erklärt und sie gebeten hatte, niemals ohne sie aus dem Haus zu gehen. Der betäubende Effekt hielt jedoch nicht lange vor, sie musste sich beeilen. Vivianne zerrte ihr Opfer ins Gebüsch, lief flink in das Stallgebäude und sah dem Einbrecher tief in die Augen. Eigentlich hätte er ihrer Suggestion gehorchen und sofort einschlafen sollen. Stattdessen verfolgte er jede ihrer Bewegungen mit großem Interesse.
Also gut. «Hallo! Hier kommt dein freundlicher Rettungsdienst. Dankschreiben können später verfasst werden.» Sie erwartete keine Antwort und wurde nicht enttäuscht. Die eisernen Fesseln stellten nur ein unbedeutendes Problem dar, Vivianne hatte sie schnell geknackt. «Komm!» Sie hielt Salai am Arm und wollte ihn hinter sich herziehen, aber er zeigte eine bemerkenswerte Stärke und widersetzte sich. Wütend drehte sie sich um. «Der Typ da draußen wird nicht ewig schlafen, und wenn er aufwacht und uns beide hier entdeckt, dann sind wir Schaschlik!»
«Warum hilfst du mir?»
Die gleiche Frage stellte sie sich ebenfalls. Wieso wollte sich der verdammte Kerl nicht retten lassen und stattdessen diskutieren? Draußen glaubte sie ein Geräusch zu hören, der Vampir kam wieder zu sich. Kurzerhand warf sie Salai über die Schulter, wo er hing wie ein Kartoffelsack und glücklicherweise auch den Mund hielt. Sie rannte hinaus, über den Vorplatz und dann den Weg entlang zu ihrem Bungalow. Dummerweise hatte sie sich vor ihrer spontanen Aktion nicht genau überlegt, was nach der Gefangenenbefreiung geschehen sollte, aber eine Flucht durch die gut bewachten Tore
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