Der Blutkristall
gewöhnt.»
«Und wenn es so wäre, was kümmert es dich?»
Mit ihrer Bemerkung hatte sie offenbar einen Nerv getroffen. Vivianne musste unwillkürlich an ihre Träume denken. Da hatte dieser Säufer sein Kind für Schnaps verkauft. Widerlich! Wer weiß, welch ein Leben er geführt hatte. Sie mochte sein heutiges Benehmen kritisieren, aber sie besaß nicht das Recht, über Morgans Vergangenheit zu urteilen. Deshalb fragte Vivianne nun mit ruhiger Stimme: «Und warum siehst du dir ausgerechnet die regionalen Abendnachrichten an?»
«Schon mal überlegt, dass dieses Programm über alle möglichen außergewöhnlichen Ereignisse des Tages berichtet? Wo sonst erfährt man, was die Sterblichen beunruhigt?»
Vivianne fühlte sich wie in der Vampirschule. «Im Internet?» Dann ging ihr auf, dass die Frage rhetorisch gemeint war. «Ja, klar. Und dann kommt der mächtige Vengador und alles wird gut!»
«Wenn es mal so wäre! Vengadore töten, Probleme lösen sie nicht. Deshalb bin ich gern darüber informiert, was um mich herum geschieht. Hast du nicht gesehen, wie verantwortungsbewusst unser Statthalter ist?» Er machte eine Geste, als sei das Thema damit für ihn erledigt. «Außerdem stimmt etwas nicht mit dem Blut im Kühlschrank.»
«Ich denke, du hast alles geprüft?» Sie erinnerte sich noch an sein demonstratives Schnuppern am Vorabend. Dann blickte sie an die Stelle, wo eine der Überwachungskameras hing. Gehangen hatte. Zwei Kabel ragten an ihrer Stelle aus der leicht lädierten Wand.
«Jemand war hier. Wahrscheinlich während du dir die Sterne mit Sebastian angesehen hast. Aber das ist jetzt egal, wir gehen!»
«Hör mal ...»
Morgan rollte mit den Augen, und sie klappte ihren Mund wieder zu. Später, wenn garantiert niemand mehr zuhörte, konnte sie immer noch richtigstellen, dass es keine romantische Laune gewesen war, die sie auf den See geführt hatte, sondern dass sie – auch wenn er so etwas nicht für möglich halten mochte – eine beachtliche Befreiungsaktion durchgezogen hatte. Cyron schien nichts verraten zu haben, und sie war nicht einmal sicher, ob sie sich darüber freuen sollte. Selbst über ihre guten Taten zu sprechen lag ihr nicht. Vivianne warf also ihre wenigen Habseligkeiten in die Handtasche und ging zur Tür. «Kommst du?»
Wie viel verkorkster konnte ein Tag eigentlich noch beginnen? Der Gedanke daran, was ihr durch Nabrahs Eingreifen erspart geblieben war, ehrlicherweise sollte ich « entgangen » sagen , sandte ein merkwürdiges Zittern durch ihren Körper. Dachte Morgan jetzt schlecht von ihr? Unfug! Sie waren ein ideales Team gewesen. Willkommen in Ihrem persönlichen Purgatorium, « Fräulein Wankelmut » . So war sie immer von ihrem Kindermädchen genannt worden. Doch diese ausnahmsweise mal selbstkritische Einschätzung änderte nichts daran, dass die Erinnerung Vivianne für köstliche Sekunden in ihrem Bann hielt und sie sich dicht an Morgans Seite wiederfand. Ein kurzer Blick in sein Gesicht bestätigte, dass sie mit dem Tumult aus Gefühlen in ihrem kribbelnden Magen nicht allein war. Da konnte er sich so streng geben, wie er wollte. Der sinnliche Mund verriet,
was seine Gedanken nicht preisgaben, und Vivianne nahm zufrieden die Schultern zurück, während sie an Morgans Seite selbstbewusst den Park des Statthalters durchquerte. Sie war gespannt, ob er oder einer seiner Spießgesellen sich ihnen in den Weg stellen würde. Die Pförtnerin nickt ihnen jedoch lediglich zu und widmete sich dann wieder dem Bildschirm.
Draußen wartete bereits ein heruntergekommenes Taxi, dessen metallene Hülle im Takt tiefer Bässe vibrierte. Den muskulösen Arm, der trotz des herbstlich kühlen Tages unbekleidet aus dem Fenster ragte, kannte sie bereits, und merkwürdigerweise vermittelte ihr dieser Anblick ein Gefühl von Sicherheit. Klar, der Typ betreibt die Vorhölle , versuchte sie sich zur Ordnung zu rufen. Aber alles war besser als das Babel, das hinter ihnen lag. Rasch kletterte sie auf den Rücksitz, Morgan folgte ihr, offenbar bemüht sie nicht zu berühren. «Nach Hause, Per!», er hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, da quietschten die Reifen des Fahrzeugs und sie schossen die ruhige Straße entlang, an hohen Hecken und imposanten Eingangstoren vorbei, bis die Vorstadt erreicht war, wo sie dem beständig dichter werdenden Verkehr gehorchen mussten.
Vivianne sah zu Morgan. «Wegen vorhin ...»
«Später!»
Sie klappte ihren Mund wieder zu und funkelte Per wütend an,
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