Der Blutmond
war es ihr möglich, einfach nicht mehr zu atmen, doch hin und wieder musste sie doch trotzdem unabsichtlich etwas von seinem Duft abbekommen? Fragen über Fragen, zu denen er keine Antwort parat hatte. Doch das würde zumindest erklären, wie Raven damals im E.O.N. in der "Nacht der Vampire" einfach so ohne weiteres an den Kontrollen vorbei gekommen war und somit überhaupt erst auf Mimma hatte treffen können.
Ardric wusste, dass sich der junge Black seine Erstverwandlung noch nicht unterzogen hatte. Doch wenn er kein Werwolf war, was war er dann? Selbst wenn in ihm kein Werwolfs-Gen vorhanden war, was ja hin und wieder vorkommen konnte, so roch er dennoch nicht nach einem gewöhnlichen Menschen. Zumindest witterte er keinerlei Düfte, die für einen Homo sapiens typisch waren.
Da der smarte Vampir nicht auf den Kopf gefallen war und in seiner Laufbahn als Untoter schon so einiges gelesen und gehört hatte, ahnte er, dass Raven einer völlig anderen Rasse angehören musste. Der Gedanke, dass man diese Möglichkeit durch gegeben Umstände durchaus in Betracht ziehen konnte, war interessant und erschreckend zugleich. Ein Überwesen, von dem niemand etwas ahnte und ausgerechnet sein Abkömmling hatte sich in diese Kreatur verliebt und war irgendwo mit ihm alleine.
Als er erneut seine Lungen mit dem unsichtbaren Element aufblähte, erschrak er, denn darin stachen zwei Duftnoten besonders hervor, die er bereits seit geraumer Zeit kannte. Es waren zum Einen der signifikante Duft seiner einst verflossenen Liebe Jinx und zum Anderen der unverkennbare Geruch eines perfiden und rückratlosen Vampirs, der nur auf seinen Vorteil aus war. Elester. Diesem niederträchtigen Mistkerl hätte er besser schon den Garaus gemacht, als er die Möglichkeit dazu gehabt hatte.
Was trieben die beiden bloß zusammen?
Beunruhigung war gar kein Ausdruck mehr für das was er empfand. Ardric fasste sich an den Kopf und versuchte in Gedanken zu rekonstruieren, was sich mit all den Personen in der kleinen Wohnung abgespielt haben konnte, doch er kam auf keinen grünen Zweig. Das Einzige, was für ihn zählte, war Mimmas Wohlbefinden.
Nur wo konnte sie stecken?
Da Ardric sonst kein anderer Ort einfiel, an dem sich die völlig kampfunerprobte Mimma mit ihrem sonderbaren Anhängsel im Schlepptau verkrochen haben könnte, blieb ihm nur noch die Hoffnung, sie in seinem Apartment vorzufinden. Der einzige Platz, der ihr immer als sichere Zuflucht gedient hatte.
Schleunigst machte er sich daran, das luxuriöse Dachapartment des prächtigen Wolkenkratzers anzusteuern, den er in der Vergangenheit gemeinsam mit seinem Schützling bewohnt hatte. Jedes grell rotleuchtende Ampelsignal, das er überfahren, und jede genommene Vorfahrt, die er sich rücksichtslos im Straßenverkehr erzwungen hatte, interessierten ihn gar nicht. Alles, was jetzt für ihn zählte, war das Wohlergehen seiner schwarzhaarigen Schutzbefohlenen, der er eigentlich noch so vieles beibringen wollte.
Der Aufzug, der zum Dachgeschoss hochfuhr, kroch nur so dahin. Jedes Stockwerk, das passiert wurde, leuchte an der Anzeigetafel auf. Ardric krallte sich an einer der hölzernen Halterungen fest und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Doch die Anspannung wollte nicht weniger werden. Er redete sich selbst gut zu, dass er in die kindlich, unschuldigen Puppenaugen von Mimma blicken würde, sobald er oben angekommen war und dall er Zorn und der Ärger, der sich zwischen ihnen aufgestaut hatte, in dem Moment, in dem sie sich versöhnlich in den Armen lagen, in der Luft verpuffen würde.
Aber was, wenn Mimma nicht Zuhause sein sollte?
Ein knackendes Geräusch war im Fahrstuhl zu vernehmen. Ardric hatte vor lauter stressbedingtem Druck, der sich in ihm aufbaut hatte, die Halterung abgebrochen. Er warf das Stück achtlos zu Boden und zog sich einige dicke Splitter aus der Haut, denn er hatte das Holz ganz einfach mit der Hand zermalmt.
Endlich ertönte das erlösende Läuten des ankommenden Aufzugs. Die Türen öffneten sich und Ardic betrat voller Zuversicht sein Domizil. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen. Er presste die Lippen festaufeinander und begann unwillkürlich zu zittern. Mit einer schlimmen Vorahnung rannte er wie der Blitz hoch zur Schlafstätte und anschließend ins Badezimmer. Leer. Alles war leer. Dies entsprach nicht dem Bild, das er sich zuvor ausgemalt hatte. Man konnte ihren Duft noch wahrnehmen, der sich wie ein zarter Schleier auf die Nervenzellen seiner Schleimhäute
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