Der Blutmond
Wurzelgestrüpp und Geäst, das sich dicht an dicht über den Waldboden erstreckte und sich als schwer begehbar erwies. Ständig verfingen sich kleine, aber robuste Wurzelstränge in den Schnallen ihrer Stiefel. Jedes Mal, wenn dies der Fall war, kam sie ins Straucheln und musste sich erst gewaltsam losreißen, um weitergehen zu können.Nachdem sie nun mehrere Baumstämme kritisch untersucht hatte, musste sie feststellen, dass der Einfall mit dem Moos an der Rinde nur noch für mehr Verwirrung gesorgt hatte.
Das grüne Zeug wucherte fast überall!
Ringsum konnte man kaum einen sichtbaren Unterschied erkennen. Mimma hatte genug. Entmutigt ließ sie ihre Schultern hängen und zog eine Schnute. Das war nicht so simpel, wie sie sich das ausgemalt hatte. Hätte sie bloß einen Kompass in Ardrics Apartment gefunden, wäre alles viel einfacher gewesen. Doch nun musste sie sich ohne Hilfsmittel durch den Wald kämpfen, der immer mehr einem Dschungel glich. Ihr blieb nichts anderes übrig als darauf zu vertrauen, dass sich ihre Vampirinstinkte irgendwie als nützlich erwiesen und sie dem richtigen Weg auf der Karte folgte.
Wo war bloß Tarzan, wenn man ihn mal brauchte?
Mutig und entschlossen - wie Jane - raffte sie ihre Schultern und warf einen letzten Blick auf die Karte. Dann marschierte sie zielstrebig los, insoweit es in dem unwegsamen Forst möglich war.
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Nur langsam öffnete sich das gigantische Stahltor des Klosters. Die Räder gaben unter der Last des Stahls krächzende Geräusche von sich, während sie sich weiter unbeirrt voranschoben. Das alte Gemäuer glich einem Hochsicherheitstrakt. Es gab keine Sekunde, in der auch nur ein Winkel der Außenanlagen unbeobachtet gewesen wäre. Den Insassen vermittelte es das sichere Gefühl, sich im Inneren unbedarft bewegen zu können. Doch zugleich war es für Eindringlinge eine Warnung und ein Mahnmal an Überlegenheit. Überall waren zusätzlich Laser und Bewegungsmelder angebracht, die jede noch so kleine Bewegung aufzeichneten und auswerteten. Alles, was größer als ein Eichhörnchen war und sich den Außenmauern näherte, wurde umgehend von den sensiblen Sensoren gemeldet und an entsprechenden Stellen automatisch weitergeleitet. Man konnte es nicht sehen, doch das gesamte Kloster wurde von einem Hochsicherheits-High-Tech-Netzwerk umgeben, das wie zusätzliche Augen fungierte, und dem erweiterten Schutz diente.
Ungeduldig drückte Ardric das Gaspedal durch und ließ den Motor aufheulen. Wie beim Start eines Formel-1-Rennens, wartete er auf das Signal, losfahren zu dürfen. Seine Hände krallten sich so fest um das griffige Lenkrad, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Er zählte seine Herzschläge.
...20, totes Vampirherz...21, totes Vampirherz...22, totes Vampirherz.
Endlich war es soweit.Kaum hatte sich die Pforte weit genug geöffnet, sodass sein Auto hindurch passte, legte er den Gang ein und raste los. Dreck und Steine flogen nur so davon, als die Reifen auf dem feuchten Boden durchdrehten, bis sie genügend Gripp fanden und die Karosserie wie einen Pfeil nach vorne schnellen ließen. Der Wagen beschleunigte von Null auf 100 binnen 5,6 Sekunden. Ardric genoss die Geschwindigkeit und trieb die kleine, spitze Tachonadel dabei immer weiter nach rechts. Die Bäume, die den schmalen und unzementierten Weg säumten, zogen wie in einem Super-8-Film vorüber. Dia für Dia nahtlos ineinander übergehend. Hochkonzentriert hatte er seinen Blick fest auf den Weg geheftet, der sich wie eine grobgezeichnete Markierung durch das Gehölz wand. Im hochglanzpolierten Lack des Wagens, spiegelten sich die Bäume wider und huschten wie tanzende Schatten über die aerodynamischen Flanken.
Ardric verschmolz mit der Maschine zu einer Einheit. Die satten Grüntöne des Waldes verblassten zu einer dunkelgrauen, beinahe schon schwarzen Masse, die die Außenlinien der Straße anzeigten. Auf gar keinen Fall durfte er über diese Kontur fahren. Eine falsche Handbewegung, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und die Karosserie würde sich um einen Baumstamm wickeln, wie ein Stück Aluminiumfolie um einen Bleistift. Jede Kurve und jede Unebenheit in der Beschaffenheit des Bodens musste er beachten, um in der Spur bleiben zu können. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Selten begab er sich bewusst in solche Gefahr, doch es blieb ihm nichts Anderes übrig, denn er fuhr gegen einen unaufhaltsamen Feind an. Nämlich die Zeit, die unbarmherzig voranschritt. Jede Minute
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