Der Blutmond
der Zeit, die sie bisher im Kloster hatte verweilen dürfen, hatte sie langsam das Gefühl beschlichen, dass seine impertinente Art nur eine Fassade war. Damit wollte er wohl sein wahres Ich, das ebenso verletzlich wie bei jedem anderen war, beschützen. Denn nach und nach bekam sie seine fürsorgliche und warmherzige Seite zu sehen, die ihr immer mehr zusagte.Als er sie dann in die Arme genommen und sie an sich gedrückt hatte, um ihr Trost zu spenden, hatte sie sich zum ersten Mal geborgen und aufgehoben gefühlt. Er hatte ihren Kummer gespürt und ihr eine starke Schulter gegeben, an die sie sich hatte anlehnen können. Nur aus diesem Grund hatte sie sich überhaupt zu einem Kuss hinreißen lassen. Ein Kuss, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Luna war sich so sicher gewesen, dass der Machovampir ebenso empfand, wie sie. Nachdem er sie jedoch einfach so ohne Erklärung hatte stehen lassen, verpuffte dieser winzige Moment, in dem sie gedacht hatte, Ardric wäre zu aufrichtigen Gefühlen fähig. Nun ärgerte sie sich darüber, wie sie sich nur so in ihm hatte täuschen können. Luna hatte sich mehr erhofft, doch nun fühlte sie sich wie ein weiteres Opfer auf seinem Weg, den er mit gebrochenen Herzen gepflastert hatte.
Da das Gelände immer abschüssiger wurde, kam sie mit dem Auto nicht mehr weiter. Die Bäume wuchsen immer dichter, sodass es unmöglich für sie war, das Gefährt unversehrt hindurch zu manövrieren, ohne einen Lackschaden zu riskieren. Sie musste den Wagen abstellen und den Rest des Weges zu Fuß gehen. Sollte sie diese Nacht überleben, so hoffte sie, Mimma würde ihr verzeihen, dass sie ohne zu fragen ihr Auto entwendet hatte. Doch nur dank der vielen Pferdestärken, die unter der Motorhaube steckten, hatte sie einiges an Zeit wieder wettmachen können. Zeit, die kostbarer war als alles Geld der Welt. Da sie sich in den Wäldern auskannte, wusste sie, wie sie am schnellsten zur besagten Höhle gelangen würde. Luna nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell sie nur konnte. Wenn das Gelände zu unwegsam wurde, kletterte sie flink an einem Baum empor und sprang von Ast zu Ast. Unerbittlich hastete sie ihrem Ziel entgegen, ohne Rücksicht auf ihren Körper zu geben. Dabei nahm sie kleinere Schnittwunden in Kauf, denn hin und wieder blieb sie an den scharfen Kanten von abgerissenen Zweigen hängen, die wie Hände gierig nach ihr grabschten, um sie aufzuhalten. Selbst ihre Kleidung wurde in Mitleidenschaft gezogen. Die oberflächlichen Kratzer verheilten stets, doch der seidige Stoff ihrer Kleider war für immer hinüber. Doch das kümmerte sie nicht. Hatte sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, konnte sie nichts und niemand davon abbringen.
Der Wind hatte sich gedreht. Plötzlich kamen ihr Gerüche entgegen, die zum Himmel stanken. Ein Gemisch aus verfaulten Kadavern, Kot und Urin zusammen mit den Ausdünstungen von Werwölfen. Luna war an ihrem Ziel angekommen. Geistesgegenwärtig hielt sie sich die Hand vor Mund und Nase und konzentrierte sich darauf nicht mehr zu atmen. Doch es fiel ihr schwer, denn diese menschliche Eigenschaft hatte sie all die Jahre, seitdem sie ein Vampir war, stets beibehalten. Es war nicht einfach diese Gewohnheit auf Knopfdruck auszuschalten.Bis auf wenigen Metern Entfernung kroch sie durch das Gestrüpp und robbte anschließend bäuchlings über den schlammigen Waldboden, um sich unentdeckt so nah wie möglich an den Schauplatz heranzuschleichen. Gebannt beobachtete sie das Szenario, das einer grotesken Theatervorführung glich. Sie spähte die Lage genauesten aus und überlegte, wie sie am besten weiter verfahren sollte, um überhaupt eine Chance gegen ihre Widersacher zu haben, die deutlich in der Überzahl waren.
Da erblickte sie etwas, das ihr einen erschrockenen Laut entlockte. Völlig erschüttert von diesem Anblick presste sie ihre vom Matsch bedeckte Hand auf den Mund und hoffte, dass niemand sie gehört hatte. Sie verharrte still in ihrem Versteck, ohne jedoch ihre weit aufgerissenen Augen von der barbarischen Szenerie abwenden zu können. Gerade als Luna dachte, sie wäre in Sicherheit wiegen, vernahm sie ein knackendes Geräusch in unmittelbarer Nähe. Noch bevor sie dazu kam, dem verräterischen Laut auf den Grund zu gehen, wurde sie von kräftigen Händen gepackt, die sie aus ihrem Schlupfloch zerrten und eisern festhielten. Sie wollte ihre Gabe anwenden, doch ihre Gegner waren schneller und stülpten ihr einen modrig riechenden Sack über den
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