Der Blutrichter
im Haus war, und das Herz schlug ihr bis zum Halse. Während sie noch überlegte, was sie tun sollte, öffnete sich die Tür. Sie sah zwei Männer, von denen einer eine Laterne hielt.
Sie schrie auf und glitt instinktiv aus dem Bett, obwohl es keinen Ausweg für sie gab. Wenn sie ihre Schlafkammer verlassen wollte, musste sie versuchen, an den beiden vorbeizukommen. Aber es war aussichtslos. Sie kam keine zwei Schritte weit, dann stülpten ihr die Eindringlinge einen dunklen Sack über den Kopf und hielten sie mit eiserner Hand fest. Einer presste ihr seine Hand auf den Mund und zischte: »Wenn du nicht endlich still bist, drücke ich dir deinen schönen Hals so lange zu, bis du keinen Laut mehr von dir geben kannst.«
Sie verstummte und wehrte sich nicht mehr. Sie konnte nichts tun. Die Männer waren zu stark, und der Sack über ihrem Kopf machte sie so gut wie blind.
»Was wollt ihr von mir?«, stammelte sie.
Die Männer antworteten nicht, sondern führten sie die Treppe hinunter und aus dem Haus. An den Pflastersteinen unter ihren nackten Füßen merkte sie, dass sie zum Hafen gebracht wurde. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie das Glucksen des Wassers an einem Schiffsrumpf hörte. Sie blieb stehen.
»Nein, lasst mich hier«, flehte sie, schlug mit den Armen um sich und versuchte, sich den Sack vom Kopf zu reißen. Einer der Männer verpasste ihr einen Faustschlag in die |284| Seite, der sie so empfindlich traf, dass sie sekundenlang nicht atmen konnte und vor Schmerz in die Knie ging.
»Hoffentlich war dir das eine Lehre, dummes Ding«, fuhr einer der beiden sie mit tiefer Stimme an. Greetje gab auf. Widerstand war sinnlos. Sie hatte absolut keine Möglichkeit, sich gegen die beiden Entführer zu behaupten. Die Männer führten sie über eine raue Bohle an Bord eines Schiffes und zu einer steilen Treppe, über die sie tief in das Innere des Schiffsrumpfes gelangten. Wasser umspülte ihre Füße.
»Wo bin ich?«, fragte sie ängstlich.
Sie bekam keine Antwort. Schweigend verließen die beiden Männer den Raum. Die Scharniere einer Tür oder einer Luke knarrten, dann klirrte ein Riegel, und die Schritte entfernten sich. Erst jetzt sprachen die Männer miteinander. Einer von ihnen machte einen Witz, über den beide lauthals lachten. Allmählich verloren sich ihre Stimmen in der Ferne. Greetje war allein. Während sie sich mühsam von dem Sack auf ihrem Kopf befreite, verrieten ihr die Geräusche, dass die Leinen eingeholt wurden und das Schiff ablegte. Segel raschelten im Wind, und das Wasser schlug gegen den Rumpf.
Greetje tastete sich bis zu der Luke vor und versuchte vergeblich, sie zu öffnen. Sie war zu schwach. Tränen stiegen ihr in die Augen. Hilflos musste sie hinnehmen, was mit ihr geschah. Das Schiff würde der Alster folgen bis hin zur Mündung in die Elbe und dann den großen Strom hinuntersegeln bis hinaus auf die Nordsee. Und Hinrik wusste nicht, was mit ihr geschehen war.
Müde und erschöpft von den Anstrengungen, die hinter ihm lagen, kehrte Hinrik aus Itzehoe nach Hamburg zurück. Es war bereits später Nachmittag, als er in der |285| Hansestadt eintraf. Sein erster Weg führte ihn zu jenem Mann, von dem Greetje das Pferd geliehen hatte. Er gab es zurück und belohnte ihn mit einem Geldgeschenk, das dieser nur zu gern entgegennahm.
Danach suchte er das Haus des Arztes Hans Barg auf, um sich davon zu überzeugen, dass er sich um Greetje keine Sorgen zu machen brauchte. Er klopfte an der Tür, erhielt jedoch keine Antwort. Er vermutete, dass Greetje Einkäufe tätigte, und wartete eine Weile vor dem Haus. Dann sah er sich in der Nachbarschaft und bei den verschiedenen Verkaufsständen nach ihr um. Er erkundigte sich bei den Händlern nach ihr und kehrte immer wieder zum Haus zurück, um erneut zu klopfen. Seine Unruhe wurde zusehends größer. Greetje wusste doch, dass er etwa um diese Zeit in Hamburg eintreffen würde. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt so lange weg sein?
Schließlich betrat er das Haus und rief nach ihr. Niemand antwortete. Instinktiv aber spürte er, dass sich in diesen Räumen etwas Dramatisches abgespielt hatte und dass er zu spät gekommen war. Das Haus verströmte ein Gefühl der Leere, so als ob etwas in ihm gestorben wäre.
Entschlossen öffnete er die Tür zur Apotheke und stieg danach die Treppe hinauf zu Greetjes Schlafkammer. Ein paar wenige Kleinigkeiten deuteten auf einen unfreiwilligen Aufbruch hin. Das Kopfkissen etwa, das neben dem Bett
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