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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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seien und dass es noch einige Leute in der Stadt gebe, die ihnen ein paar Dienste schuldeten.
    »Die Stadt liegt an der Aller«, erläuterte Sven, während sie durch die belebten Gassen ritten. »Verden bedeutet soviel wie ›bei den Leuten an der Übergangsstelle‹. Eine Straße führt durch diesen schönen Ort, eine Fernstraße, die vom Rhein bis nach Skandinavien reicht. Der Übergang am Fluss hat der Stadt ihren Namen gegeben.«
    Greetje hörte nur halb zu, was er sagte. Sie fragte sich, aus welchem Grund Störtebeker sie hierhergeschickt hatte. Als der alte Schwede aber vor einem Fachwerkhaus hielt, |334| an dem ein kleines Schild auf den Arzt Jordan Birger verwies, war ihr alles klar. Durch einen schmalen Gang ging es auf einen Hinterhof, wo sie von den Pferden stiegen.
    Durch den Hufschlag aufgeschreckt, trat ein Mann in schwarzer Kleidung aus dem Haus. Seine fast schwarzen Augen fielen Greetje als Erstes auf, weil sie von Traurigkeit und einer gewissen Verlorenheit geprägt waren. Dieser Mann schien in tiefer Melancholie zu versinken. Ein kurz gehaltener Backenbart zierte seine Kinnladen hinab bis zum spitzen Kinn, das unbedeckt blieb. Im Gegensatz zu seinem voluminösen Oberkörper hatte er schmale Hüften und lange dünne Beine, die zudem in allzu engen Hosen steckten. Bei einem anderen hätten sie sicherlich komisch ausgesehen, bei ihm jedoch erregten sie eher Mitleid denn Heiterkeit.
    »Wir haben jemanden für Euch, um den Ihr Euch kümmern müsst, Jordan Birger«, rief Sven, der mit ausgestreckter Hand auf den etwa fünfzigjährigen Arzt zuging, um ihn mit einem freundlichen Handschlag zu begrüßen. »Ich muss Euch ja wohl nicht daran erinnern, dass Ihr in unserer Schuld steht. Das ist Greetje. Sie wird eine Weile bei Euch bleiben.«
    Der Mediziner blickte sie mit seltsam leeren Augen an, so als würde er sie gar nicht wahrnehmen. Er nickte.
    »Ihr braucht nicht darauf zu pochen«, entgegnete er mit sichtlichem Missfallen. »Ich tue, was Ihr von mir verlangt.«
    »Greetje ist geschickt. Sie hat unsere Verwundeten behandelt und dabei bewiesen, dass sie eine Menge von Eurem Metier versteht. Sie kann Euch helfen, wenn Ihr sie lasst.«
    »Wird sich zeigen.« Der Arzt versenkte seine Hände in den Taschen seiner engen schwarzen Hosen und sah zu Boden. Er machte kein Hehl daraus, dass er weder über |335| den Besuch der Freibeuter erfreut war noch darüber, dass er Greetje ein Dach über dem Kopf bieten sollte. Sven blickte sich Hilfe suchend um, fand aber keine Unterstützung bei seinen Begleitern. Die anderen standen mit ausdruckslosen Mienen herum und warteten darauf, dass er das Zeichen zum Aufbruch gab.
    »Also dann.« Der alte Schwede zuckte mit den Achseln. Er stieg auf sein Pferd, nahm Greetjes Pferd am Zügel und winkte ihr zum Abschied. Sie folgte ihm mit ihrem Blick, bis die Freibeuter hinter einer Baumgruppe verschwanden. Dann wollte sie sich dem Arzt zuwenden, doch er war schon ins Haus gegangen. Immerhin hatte er die Tür offen gelassen.
    Es war ein ganz und gar nicht freundlicher Empfang. Ihr war klar, dass sie sich im Haus dieses Mannes nicht wohlfühlen würde. Als sie eintrat, beschloss sie, die erstbeste Gelegenheit zu nutzen, um an anderer Stelle in Verden unterzukommen.
    Er hielt sich in der Küche auf, wo er linkisch mit Töpfen hantierte, die er benutzt, jedoch nicht gereinigt hatte. Sie zählte sieben Töpfe, und sie vermutete, dass er sie erst wusch, wenn sein Bestand an unbenutzten Töpfen erschöpft war.
    Sie stellte ihr Bündel ab, schob ihn zur Seite und sagte: »Lasst mich das machen. Ein Arzt sollte sich um seine Patienten kümmern, nicht aber in der Küche arbeiten.«
    Ohne ein Wort des Dankes ging er hinaus, während sie sich daranmachte, aufzuräumen und die Küche zu putzen. Sie war sicher, dass sie einige Stunden beschäftigt wäre. Doch sie beklagte sich nicht. Es war allemal besser, als tatenlos in einer Kammer zu hocken und darauf zu warten, dass irgendetwas geschah.
    Ihre Gedanken waren bei Hinrik. Wo er jetzt wohl sein mochte?
    |336| »Was war mit meinem Vater?«, fragte Hinrik. Zusammen mit Gödeke Michels kehrte er von der Jagd zurück, auf den Schultern ein erlegtes Reh. Eigentlich war es den Bewohner dieses Landstrichs nur erlaubt, Niederwild zu jagen. Alles andere gehörte dem gehobenen Adel. Doch darum scherten sich die beiden Männer nicht, zumal sie sicher sein konnten, dass sich niemand sonst in diesen Sümpfen und Wäldern blicken lassen würde. »Woher hast

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