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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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diesem Moment trat Bene ein. Sie schrie auf.
    »Was hat er?«
    »Sein Herz«, antwortete Greetje. Sie sank auf die Knie und öffnete Birgers Hemd, um ihm Luft zu verschaffen. Doch es war schon zu spät. Für einen Moment öffnete er die Augen und sah sie lange an. »Bitte, lass sie nicht allein!«, flüsterte er und verschied.
    Bene begann haltlos zu weinen. »Du hast ihn auf dem Gewissen«, stammelte sie. »Du kannst doch sonst immer alles! Warum hast du ihn sterben lassen, du Hexe? Wovon soll ich denn jetzt leben? Wer bezahlt mich, wenn der Doktor nicht mehr ist?«
    »Raus!«, befahl Greetje, die es nicht ertrug, dass Bene angesichts des Verstorbenen nur an sich und an ihr Auskommen dachte. Sie versuchte Jordan Birger wiederzubeleben. Vergeblich. Den plötzlichen Tod des Arztes empfand sie als besonders grausam, denn er hatte nicht einmal mehr die Sterbesakramente der Kirche erhalten. Ein solches |406| Ende hatte er nicht verdient. Ketzer starben auf diese Weise, nicht aber Männer wie Birger!
    Bene gehorchte, aber es dauerte nicht lange, bis sie zurückkehrte – mit Jonathan Kerber an ihrer Seite, einem anderen Arzt aus Verden, der Birger als Rivalen empfunden hatte und hinter seinem Rücken boshaft über ihn hergezogen war. Kerber war ein hoch aufgeschossener, schlanker Mann mit einem schmalen Gesicht, das vermutlich noch nie von einem Lächeln überzogen worden war. Der Mund unter der langen, gekrümmten Nase war schmal. Selbst wenn Kerber redete, bewegten sich seine Lippen kaum. Seine Stimme klang tief und kehlig.
    Greetje ahnte Böses. Unwillkürlich wich sie zurück. Kerber beachtete sie überhaupt nicht. Mit gewichtiger Miene beugte er sich über den Toten und griff sich mit knochiger Hand an den Spitzbart, der sein Kinn zierte. Voller Bedenken wiegte er den Kopf hin und her, ließ sich ächzend auf die Knie sinken und begann, Birger zu untersuchen. Er hielt sich jedoch nicht lange mit ihm auf, wandte sich an Bene und sagte: »Sie hat alles richtig gemacht. Diesem Mann war nicht mehr zu helfen. Selbst ich hätte ihn nicht vor dem Tode bewahren können.«
    Damit ging er hinaus. Bene warf den Kopf in den Nacken, schnaubte verächtlich und folgte ihm. Dann aber zögerte sie, denn sie wusste, dass sie ihre Stellung und damit das Einkommen nicht aufs Spiel setzen durfte, das sie benötigte, um ihre Familie zu versorgen. In der Tür blieb sie stehen.
    »Und was jetzt?«, fragte sie.
    »Hat das nicht Zeit bis später?« Greetje war viel zu erschüttert über den Tod Jordan Birgers, als dass sie an etwas anderes hätte denken können. Wenn sie sich Sorgen machte, dann nicht um dieses einfältige Mädchen, sondern um Marie und Julia, für die sie nun die ganze Verantwortung |407| trug. Ihr stand eine schwere Aufgabe bevor. Sie musste hinaufgehen zu den Zwillingen und ihnen die schreckliche Nachricht vom Tod ihres Vaters überbringen.
    »Nein. Ich will es sofort wissen.«
    »Zunächst hilfst du mir, den Toten aufzubahren«, forderte Greetje. »Das kann ich nicht allein. Er ist zu schwer für mich.«
    Bene presste trotzig die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Zugleich stemmte sie die Fäuste in die Hüften. »Ich will es wissen.«
    »Was denn, um alles in der Welt?«
    »Ob ich auch morgen noch in Lohn und Brot stehe. Jemand muss sich um das Haus kümmern. Der Winter ist hart und hat noch lange kein Ende.«
    Greetje brauchte eine Weile, um sich zu fangen. Am liebsten hätte sie das Mädchen zornig angefahren. Doch sie beherrschte sich. »Du bist weiterhin das Hausmädchen. Und du wirst ab sofort sogar etwas mehr verdienen.«
    »Wie viel mehr?«, fragte Bene mit gierig funkelnden Augen.
    »Ich sehe mir morgen die Notizen an, die der Arzt gemacht hat, und dann zahle ich dir ein Drittel mehr.«
    »Das ist mir zu wenig. Ich will ein Viertel!«
    Greetje hatte Mühe, ernst zu bleiben. Bene hatte wirklich keine Ahnung, und rechnen konnte sie schon gar nicht. Sie nickte. »Das sollst du bekommen. Und jetzt hilf mir endlich.«
    Bene sah Greetje triumphierend an, als hätte sie einen Sieg errungen. Als Greetje ihren Befehl wiederholte, half sie endlich, die Leiche des Arztes in die Praxis zu tragen und dort auf den Tisch zu legen. Danach schickte Greetje sie fort. Sie wollte zum Schreiner gehen, um einen Sarg für den Toten in Auftrag zu geben. Zuvor aber musste sie zu den Zwillingen. Die Beine wurden ihr schwer, als sie |408| die Treppe hinaufstieg. Sie fand die Tür unverriegelt vor, machte sich jedoch keine

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