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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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rede?«, schrie der Arzt, und seine Stimme überschlug sich. Er packte sie am Arm und zerrte sie so rasch hinter sich her, dass sie ihm kaum zu folgen vermochte. »Das wirst du gleich sehen!«
    Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es einen triftigen Grund gab, sie anzuklagen und derart grob zu behandeln. Sie hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen, sondern gemeinsam mit Inga hart gearbeitet und alles getan, was in ihrer Macht stand, um das Leben der Männer zu retten. Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Hein Schwan war zu stark.
    Endlich blieb er stehen. Die Verwundeten waren nun nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Von allen Seiten kamen Männer und Frauen heran, die aus Neugier zum Strand gegangen waren, aber auch, um zu helfen. Er wartete, bis der Kreis der Zuhörer groß genug war. Mit bebender Hand zeigte er auf die Männer, die am Boden lagen. Viele von ihnen waren bewusstlos, und einige von ihnen wälzten sich in Fieberfantasien hin und her.
    »Das sind die Männer, deren Wunden ich behandelt und bei denen ich amputiert habe, wo es nötig war«, verkündete er laut und anklagend. »Bei ihnen haben sich die Wunden entzündet. Mehr als die Hälfte ist in der Nacht gestorben.« Er fuhr herum und zeigte auf eine zweite Reihe. »Und das sind die Männer, die von Greetje Barg versorgt wurden. Seht sie euch genau an. Geht hin und redet mit ihnen. Fast allen geht es besser als meinen Patienten, und lediglich drei Männer sind in der Nacht gestorben. Bei kaum einem haben sich die Wunden entzündet. Und den Wundbrand habe ich bei ihnen überhaupt noch nicht festgestellt. Es ist offensichtlich. Diese Hexe schickt meine Patienten gnadenlos in den Tod, um meine Arbeit in Verruf zu bringen und um an meiner Stelle Inselarzt zu werden.«
    Ob der Brutalität, mit der er sie zum Strand gezerrt |464| hatte, und der erhobenen Anschuldigungen war Greetje so erschrocken, dass sie kein Wort zu ihrer Verteidigung hervorbrachte. Das hätte allerdings kaum jemand vernommen, denn die Menge begann wütend zu schreien, und nicht wenige der Männer und Frauen erhoben ihre Fäuste gegen sie.
    Mit ernster Miene trat der Priester auf sie zu. Es wurde still. Er blickte sie lange prüfend an, bis er schließlich mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme fragte: »Bist du eine Hexe?«
    »Nein«, stammelte sie. »Natürlich nicht.« Der Vorwurf war so absurd, dass ihr die Kehle eng wurde und sie kaum noch sprechen konnte. Obwohl er unmittelbar vor ihr stand, verstand er sie nicht.
    »Warum leugnest du?«, fuhr er fort. »Hat dich der Unaussprechliche so fest im Griff, dass er dir nicht erlaubt, die Wahrheit zu gestehen?«
    Schlagartig erkannte Greetje, wie aussichtslos ihre Lage war. Sie konnte sagen, was immer sie wollte. Man würde ihr nicht glauben. Hein Schwan hatte bei der Versorgung der Verwundeten Fehler über Fehler gemacht, doch das spielte keine Rolle. Die von ihr und Inga behandelten Männer waren auf dem Wege der Besserung. Doch das war nicht entscheidend. Sein Wort zählte. Er war ein Mann, und sein Wort wog mehr als das einer Frau. Der von ihm ausgesprochene Verdacht, sie sei eine Hexe, ließ die Männer und Frauen der Insel alles vergessen, das sie geleistet hatte, und schürte die Angst vor der ewigen Verdammnis, die ihnen drohte, falls sie den vermuteten finsteren Mächten nicht entschlossen begegneten.
    Ihr war klar, sie war verloren, und es half ihr gar nichts, dass sie unter dem Schutz Störtebekers stand. Der mächtigste aller Freibeuter war weit entfernt und konnte ihr nicht helfen.
    |465| Der Priester bekreuzigte sich.
    »Armes Kind«, sagte er ohne das geringste Mitgefühl. »Du wirst uns die Wahrheit sagen müssen. Gott wird dich für deine Lügen strafen.«
    »Was haltet ihr euch lange mit ihr auf?«, rief der Inselarzt. »Packt die Hexe und drückt sie unter Wasser. Wenn sie ertrinkt, habt ihr den Beweis, dass sie eine Hexe ist.«
    »Wir wollen und können keine Zeit mir dir verschwenden, Kind«, gab ihr der Priester zu verstehen, wobei er salbungsvoll die Hände vor der Brust verschränkte und den Kopf neigte. »Die Verwundeten nehmen unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Außerdem müssen wir uns auf einen weiteren Angriff der Hanse vorbereiten, den wir nicht ausschließen können. Im Namen Christi, du wirst also Verständnis dafür haben, dass wir uns beeilen müssen, die Wahrheit zu finden.«
    Er war ein mittelgroßer, schlanker Mann mit einem riesigen Kopf. Seine rosigen

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