Der Blutrichter
ist schwer verletzt und braucht dringend Hilfe.«
|97| Sie kannten ihn und machten den Weg frei. Außer Atem erreichte er das Haus des Arztes. Er glitt vom Rücken des Pferdes und schlug mit den Fäusten gegen die Tür. Eine endlos lange Zeit schien zu vergehen, bis sich Schritte näherten. Greetje öffnete und blickte ihn verärgert an, in der Hand eine brennende Kerze.
»Ich muss deinen Vater sprechen«, sagte er hastig.
»Du hast wohl den Verstand verloren, so spät in der Nacht so einen Lärm zu machen!«, fauchte sie ihn an und schlug die Tür zu. »Mistkerl!«
»Hör mich doch an, bitte«, flehte er. »Ich brauche einen Arzt. Es ist dringend.«
»Die Pest soll dich holen«, schrie sie durch die geschlossene Tür. Ihre Schritte verloren sich im Haus. So heftig er auch die Fäuste gegen die Tür hämmerte, sie öffnete nicht. Enttäuscht ging er zu seinem Pferd zurück. Er wusste nicht, was er tun sollte. Es gab noch mehr Ärzte in der Stadt, aber seit der Krankheit und dem Tod seiner Mutter und seiner Geschwister hatte er kein Vertrauen mehr zu ihnen.
»Der Arzt ist nicht da«, vernahm er eine dunkle Stimme. Schritte näherten sich, und einer der Wächter kam heran. »Hans Barg ist nach Hamburg abgereist. Er kommt erst in ein paar Tagen zurück. Ich an deiner Stelle würde mich an Spööntje wenden.«
Spööntje!
Dass er nicht gleich darauf gekommen war!
Leider würde er nun noch mehr Zeit brauchen. Er musste die Stör überqueren und dazu den Fährmann wecken, und dann musste er zu der Heilerin in den Wald laufen, um ihr zu berichten, was geschehen war. Danach würde er sich auf der Burg frische Pferde besorgen. Es war hoffnungslos. So lange würde Ritter Christian auf keinen Fall durchhalten.
|98| Aufzugeben aber kam nicht in Frage. Er rannte los.
Der Morgen graute, als er sich zusammen mit Spööntje der Stelle näherte, an der er Christian zurückgelassen hatte. Der Ritter lag ausgestreckt auf dem Boden und gab kein Lebenszeichen von sich. Spööntje glitt aus dem Sattel und kniete sich neben ihm hin, um ihm das Ohr an die Lippen zu halten.
»Los, beeil dich«, befahl sie Hinrik. »Ich brauche heißes Wasser. Hol Wasser und zünde ein Feuer an.«
»Er lebt?«, staunte Hinrik.
»Was glaubst du denn, du Esel?«, fauchte sie ihn an. »Meinst du, ich gebe mir solche Mühe, wenn er bereits tot ist? Los doch, oder muss ich dir Beine machen?«
Hinrik schossen Tränen in die Augen. Wie ein Wunder empfand er die Tatsache, dass der Ritter nicht verblutet war. Er rannte los, um zu besorgen, was die Alte benötigte.
Christian hatte einen schweren Kampf zu bestehen, und oft genug sah es nicht so aus, als könnte er ihn gewinnen. Die Zinken einer Mistgabel waren tief in seinen Leib eingedrungen, und die Wunden hatten sich entzündet. Er hatte viel Blut verloren und war sehr geschwächt. Spööntje erschien jeden Tag auf der Burg, um nach ihm zu sehen und seine Verbände zu wechseln. Sie achtete penibel auf Sauberkeit und legte allerlei aus Kräutern gewonnene Mixturen auf seine Wunden. Sie erzielte Fortschritte, aber es gab immer wieder gefährliche Krisen, in denen das Leben des Ritters an einem seidenen Faden hing.
Die Ärzte der Stadt protestierten vehement dagegen, dass Spööntje den einzigen Überlebenden behandelte. Mehrere Male versuchten Hans Barg und die anderen sie |99| von der Burg zu verdrängen, um selbst die Betreuung zu übernehmen. Hinrik trat ihnen entschlossen entgegen und wehrte sie ab. Unterstützt wurde er dabei von seinem Lehrer, dem kurzsichtigen Mönch Franz, denn Christian bestand in den wenigen Phasen, in denen er bei vollem Bewusstsein war, auf Spööntje.
»Christian müsste längst wieder auf den Beinen sein«, behauptete Hans Barg, als er eines Tages auf die Burg kam, auf der es nach den schweren Verlusten im Kampf mit den Wegelagerern sehr still geworden war. Der Verwundete war der einzige Ritter, den es nun in Itzehoe und Umgebung noch gab, und Hinrik der einzige Knappe. »Bei allem Respekt – Spööntje ist keine Ärztin. Sie kennt die neuen Behandlungsmethoden nicht.«
»Mag sein«, erwiderte Hinrik, der dem Arzt auf dem Hof der Burg begegnete. »Aber Christian will sie und keinen anderen.«
»Wenn ich mit ihm rede, wird er schon vernünftig werden.« Hans Barg wollte ihn zur Seite schieben, um zu dem Verwundeten gehen zu können. Hinrik aber blieb mit ausdruckslosem Gesicht stehen, wo er war, und tat so, als würde er gar nicht begreifen, dass der Arzt an ihm
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