Der Blutrichter
ihn, um ihn aus seiner Ohnmacht zu wecken. Der Regen trommelte auf sie herab und wusch den Dreck von der Rüstung ab, Blut rann darunter hervor.
Hinrik versuchte, dem Bewusstlosen aufs Pferd zu helfen, schaffte es jedoch nicht. Die Rüstung machte ihn so schwer. Flüchtig blickte er zum Gehöft hinüber. Die Häuser waren kaum fünfzig Schritte von ihm entfernt. Nichts regte sich.
Als er den Ritter von der Rüstung befreit hatte, sah er, dass Christian nicht ganz so schwer verletzt war, wie er befürchtet hatte. Er schien viel Blut verloren zu haben, und sein Überlebenskampf hatte ihm die letzten Kräfte geraubt. Obwohl er ohne Rüstung deutlich leichter war, schaffte Hinrik es nicht, ihn auf das Pferd zu wuchten. Alle Mühe war vergebens.
»Helft mir!«, flehte Hinrik und versetzte ihm eine Reihe von leichten Schlägen gegen die Wange. »Allein schaffe ich es nicht. Wir müssen weg. Was glaubt Ihr denn, wie lange wir noch unentdeckt bleiben?«
Christians Lider bewegten sich. Er kam zu sich.
»Ihr müsst aufstehen«, bedrängte ihn der Knappe.
»Ich kann nicht.«
»Verdammt«, schrie Hinrik ihn an. »Immer eine große Klappe. Saufen und huren könnt Ihr ohne Ende, wenn Ihr |95| aber ein paar Löcher im Bauch habt, greint Ihr wie ein kleines Kind.«
»Du Hurensohn wagst es, so mit mir zu reden?« Christian richtete sich stöhnend und ächzend auf.
»Ich sage Euch noch eine ganz andere Wahrheit«, fuhr der Junge ihn an. »Zwischen weichen Schenkeln spielt Ihr den großen Helden. Dabei könnt Ihr noch nicht einmal auf ein Pferd steigen.«
»Ich erschlage dich, wenn wir auf der Burg sind«, drohte der Ritter ihm an. Hinrik verschränkte die Hände und bot sie ihm als Steigbügel. Der Verletzte setzte den Fuß hinein, und endlich gelang es ihm, sich auf den Rücken des geduldig wartenden Pferdes zu setzen. Erschöpft sank er nach vorn und verlor erneut das Bewusstsein, so dass er beinahe wieder heruntergefallen wäre. Hinrik hielt ihn fest, und dabei führte er das Pferd von der Warft weg und den Geestrücken hinauf. Immer wieder blickte er zurück, weil er fürchtete, im letzten Augenblick noch entdeckt zu werden, doch bald verschwand das Gehöft hinter dem Vorhang aus Regen, ohne dass sie aufgehalten worden wären.
Oben im Eichenhain griff der Junge die Stricke und band den Ritter vorsorglich fest. Von den Vorräten nahm er nur etwas zu Trinken mit. Dann trieb er das Pferd an, merkte aber schnell, dass der Verletzte dabei zu sehr erschüttert wurde. Also ließ er es wieder im Schritt laufen. Unter diesen Umständen allerdings würde Christian noch lange warten müssen, bis jemand seine Wunden versorgte.
Nachdem sie etwa eine Stunde lang durch die Wälder auf dem Geestrücken gezogen waren, kam der Verletzte zu sich. Er stöhnte laut und klagte über Schmerzen, so dass Hinrik ihn losband und ihm vom Pferd half. Erschöpft ließ der Ritter sich zu Boden sinken. Seine Wunden bluteten noch immer stark.
|96| »Es hat keinen Sinn«, ächzte er. »Mit mir geht es zu Ende.«
»Das erlaube ich Euch nicht«, erwiderte der Knappe. »Was soll denn aus mir werden, wenn Ihr Euch jetzt auf die letzte Reise macht? Ihr habt meinem Vater versprochen, dass Ihr Euch um mich kümmert. Habt Ihr das vergessen?«
»Es tut mir leid«, flüsterte Christian.
»Ihr gebt nicht auf! Habt Ihr verstanden?«, schrie der Junge ihn an. »Ihr bleibt hier. Ich hole Hilfe. Das ist besser, als Euch in diesem Zustand zum Arzt zu bringen.«
»Einverstanden«, nickte der Verletzte. »Aber beeil dich.«
Henrik nahm die Hand des Ritters und legte sie ihm auf die Wunde. Dann schwang er sich auf den Rücken des Pferdes.
»Warum reitest du nicht los?«, fragte Christian. »Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
»Seid vorsichtig beim Furzen«, riet ihm der Knappe. »Es könnte Euer letzter sein!«
»Wenn ich wieder auf die Beine komme, bringe ich dich um, Rotzlöffel«, fluchte der Verletzte, wobei er sich ein schwaches Grinsen nicht verkneifen konnte. »Nun hau endlich ab!«
Energisch trieb Hinrik das Pferd an. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es vollkommen dunkel war. Hinrik sah ein paarmal zurück, um sich das Bild der Landschaft einzuprägen. Er wollte Christian auf jeden Fall wiederfinden.
Kurz vor Mitternacht erreichte er Itzehoe. Vor dem Übergang der Störschleife standen Wachen und geboten ihm Halt.
»Lasst mich durch! Ich muss zu Hans Barg, dem Arzt«, rief er ihnen zu. »Ritter Christian
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