Der Blutrichter
vorbei wollte.
»Das ist nicht das Problem«, versetzte er und besann sich einer List. Seine Miene belebte sich für einen kurzen Moment, um dann einen beinahe dümmlichen Ausdruck anzunehmen. Er ließ die Unterlippe sinken und neigte den Kopf zur Seite, als habe er nicht die Kraft, ihn zu halten. »Es geht um etwas ganz anderes.«
»Da bin ich ja mal gespannt!« Hans Barg war kleiner als er, wirkte aber kräftig. Ein schmaler Bart zierte seine Oberlippe, und um den Mund herum schien stets ein freundliches Lächeln zu schweben. Er war Hinrik durchaus sympathisch. Er hielt ihn für den besten Arzt der |100| Stadt und des Landkreises. Die kleinen zupackenden Hände schienen in jeden Körper eindringen und den Herd einer Krankheit ausfindig machen zu können, wo auch immer dieser sich verbergen mochte. Es fiel Hinrik nicht leicht, ihm die Unwahrheit zu sagen, aber er sah keine andere Möglichkeit, ihn von Christian fernzuhalten.
»Ich gebe es nur ungern preis«, entgegnete der Knappe zögernd, so als müsste er sich jedes Wort genau überlegen. »Wie Verrat kommt es mir vor.«
»Was denn?« Hans Barg griff freundschaftlich nach seinem Arm. Seine Neugier war geweckt, und sie war größer als sein Argwohn, so dass er dem Jungen auf den Leim ging. »Du kannst mir vertrauen. Ich bin verschwiegen. Von mir wird niemand etwas erfahren.«
»Nun, es ist so, dass Christian bei dem Kampf gegen das Lumpengesindel in der Marsch sein ganzes Geld bei sich hatte. Genauer – es befand sich in einer Tasche am Sattel seines Pferdes«, schwindelte Hinrik, und seine Unschuldsmiene wirkte absolut überzeugend auf den Arzt. »Es ist mit dem Pferd im Sumpf versunken. Das heißt . . .«
»Willst du sagen, dass Christian überhaupt kein Geld mehr hat?«
Hinrik blickte zu Boden, als wäre er beschämt. »Das ist es. Das ganze Geld ist irgendwo im Sumpf verschwunden, und niemand wird es je wieder zu Tage fördern.« Er blickte auf und fügte geradezu flehend hinzu: »Ihr müsst es für Euch behalten. Christian wäre es nicht recht. Nun wisst Ihr, weshalb er sich von Spööntje behandeln lässt. Er könnte keinen Arzt bezahlen.«
»Ich werde es für mich behalten«, versprach Hans Barg. »Ehrensache. Wenn ich es recht bedenke, wäre es nicht gut, Spööntje von der Seite des Ritters zu vertreiben, nachdem sie so viel für ihn getan hat. Etwas anderes wäre |101| es natürlich gewesen, wenn ich in jener Nacht zu Hause gewesen wäre, als du an meiner Tür geklopft hast, um mich zu Christian zu führen.« Er blickte den Knappen mit funkelnden Augen an und lächelte breit. »Wie ich hörte, war Greetje nicht gerade freundlich zu dir.«
»Das ist nicht weiter schlimm. Ich hab’s schon vergessen.«
Der Arzt lachte. »Nun ja, sie kann zuweilen recht garstig sein. Sie hatte kein einziges nettes Wort für dich. Dabei bist du ein mutiger Junge. Wie du dich da draußen in der Marsch geschlagen und wie du Christian gerettet hast, verdient Hochachtung. Du wirst bestimmt nicht lange warten müssen, bis man dich zum Ritter schlägt.«
Hinrik gab nichts auf diese Worte. Er merkte, dass der Arzt sein spontan nachlassendes Interesse an der Behandlung des Ritters verbergen wollte. Bei Christian gab es für einen Medicus nichts zu verdienen. Da konnte Spööntje ruhig weitermachen. Auch die anderen Ärzte würden sich nun nicht mehr bei ihm blicken lassen, denn das war sicher – Hans Barg würde unter dem Siegel der Verschwiegenheit verbreiten, dass Christian mittellos war und keinen Mediziner bezahlen konnte.
Als Hans Barg die Burg verlassen hatte, begab sich Hinrik in die kleine Burgkapelle, um für die Lüge Abbitte zu tun. Der Besuch am Altar fiel kurz aus, da er mit seinen Gedanken woanders war. Seit der verheerenden Niederlage der Ritter war die Stadt Itzehoe praktisch schutzlos. Es gab niemanden mehr, der bei einem Angriff für die Stadt hätten kämpfen können. Die Stadtväter hatten die Gefahr sofort erkannt. Vertreter der Stadt machten sich auf und warben in den großen und bedeutenden Städten im Süden des Königreichs um Ritter. Doch die Aussicht auf Erfolg war bescheiden. In den Norden – noch dazu in eine so kleine Stadt – zog es keinen der Ritter. Sie suchten |102| ihr Glück lieber am Hof und in den großen Städten. Als hoch spezialisierte Krieger stellten sie sich in den Dienst der Mächtigen und ließen sich gut dafür bezahlen. Und nicht nur das. Sie nahmen an Turnieren teil, bei denen es viel Geld zu verdienen gab. Solche
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