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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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kaum genügend zum Leben hatten, doch Hinrik konnte nichts tun. Ihm waren die Hände gebunden. Um nicht über den Tisch gezogen zu werden, ließ er sich hin und wieder den Lohn in Form eines Sacks Mehl auszahlen, zog damit durch die Gassen und tauschte das Mehl gegen Dinge ein, die er benötigte, ein paar neue Sandalen, einen leichten Wams für die Sommermonate, einen Gürtel oder einen Dolch. Die Waffe war ihm besonders wichtig, und er ließ sich viel Zeit bei der Auswahl. Es gab einige gute Angebote bei den Schmieden, meistens bestanden die Klingen jedoch aus Eisen oder einer weichen Legierung, so dass sie rasch stumpf wurden. Schließlich |136| aber entdeckte Hinrik einen Waffenschmied, der seine Werkstatt in einer winzigen Gasse unterhalb der Ringmauer der Stadt hatte und der es verstand, die Klingen durch spezielle Beimischungen zu härten. Der Dolch war teuer. Er musste neun Säcke Mehl dafür opfern. Nach und nach brachte er die Säcke zum Schmied, aber er tat es gern. Er brauchte sonst nicht viel.
    Jeden Tag kamen Ochsenkarren zur Mühle, um Mehl abzuholen, das von Händlern aufgekauft worden war. Sie brachten es zum Hafen, wo es auf Schiffe verladen wurde. Hinrik half stets beim Beladen der Wagen, und so lernte er nach und nach die Fuhrwerker kennen.
    An einem eisigen Winterabend brach einer der älteren Fuhrwerker während der Arbeit zusammen. Hinrik trug den Mann in die Mühle, und Evchen lief in die Stadt, um einen Arzt zu holen. Das Mehl musste dringend zum Schiff gebracht werden. Da sonst niemand zur Verfügung stand, schickte der Müller seinen Gehilfen mit dem Fuhrwerk los. Hinrik nahm die Aufgabe dankbar an. Er war froh, etwas anderes tun zu können. Bedenken, sich am hellen Tage in Hamburg blicken zu lassen, hatte er nicht. Sein Aussehen hatte sich in den vergangenen Monaten stark verändert, und es war wenig wahrscheinlich, dass ihn jemand erkannte.
    Das fehlende Sonnenlicht hatte die Locken dunkler werden lassen. Er hatte sie stark gekürzt, so dass die Narbe auf seiner Stirn deutlich sichtbar war. Ein dichter, kurzer Bart umsäumte sein Kinn.
    Schon von weitem konnte er die Masten der Schiffe sehen, die im Hafen an der Alster lagen. An dieser Stelle weitete sich der Fluss. Von den vor Wind und Wetter geschützten Hafenanlagen ging es später hinaus auf die Elbe und von dort aus in die Nordsee. Direkt an der Elbe waren erste Anlagen entstanden, so dass größere Schiffe anlegen |137| konnten. Hinrik konnte sich gut vorstellen, dass sich die Stadt in naher Zukunft zur Elbe hin ausdehnen würde, so dass am Strom ein vielleicht noch wichtigerer Hafen entstehen würde.
    Die Ochsen zogen den schweren Wagen bis zum Alsterufer, vorbei an gelagerten Fässern, Ballen und Hölzern, an Handwerkern, die unter offenem Himmel arbeiteten, an Werftanlagen, in denen Hölzer für die Schiffe in Wasser getränkt und gebogen wurden, um sie der Schiffsform anzupassen, an Kränen, mit denen Waren aller Art in die Lagerhäuser gehoben wurden, an Geldwechslern, Gerbern, deren Felle einen bestialischen Gestank verbreiteten, und Frauen, die einfache Speisen verkauften, an Fischhändlern, die Heringe in Fässern anboten, und einigen hohen Herren, die sich würdevoll gekleidet hatten und das Geschehen mitten aus dem Getümmel heraus überwachten. Nirgendwo sonst wurde deutlicher, dass die Hansestadt ein blühender Handelsort war, der den Einwohnern Arbeit bot. Hinrik allerdings wusste, dass der Lohn bei dem größten Teil der Bevölkerung gerade zum Überleben ausreichte.
    An einer aus Eichen gefertigten Kaimauer lag eine Kogge zum Auslaufen bereit. Ein Drehkran hievte Bierfässer an Bord. An seinen Seiten befanden sich zwei mächtige Laufräder, in denen sich jeweils zwei Männer nebeneinander mal in die eine, mal in die andere Richtung bewegten, um das Transportgut entweder von einem Wagen hochzuheben oder es in die Kogge herabzulassen. Hinrik konnte sich denken, dass sich im Inneren des Krans ein System von Rollen befand, über die Tragseile geführt wurden, die wiederum von Männern gezogen wurden.
    Energisch winkte ihm der Kapitän des Schiffes zu.
    »Beeil dich«, rief er. »Wir haben nicht ewig Zeit, auf dich zu warten.«
    |138| Hinrik antwortete nicht. Schweigend führte er den Wagen bis direkt an den Kran heran, der von einem weißhaarigen, schwächlichen Mann bedient wurde. Wortlos half er, die Säcke an Bord zu bringen, indem er sie nach und nach an einem eisernen Haken am Ende des Tragseils befestigte. Er

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