Der Blutrichter
kräftig genug für diese Arbeit und möchte lieber heute als morgen damit aufhören. Wie wäre es mit Euch? Habt Ihr nicht Lust, Kranführer zu werden? Ihr scheint etwas von Technik zu verstehen.«
Für Hinrik war dieses Angebot durchaus verlockend, und er überlegte nicht lange. Die Arbeit im Kran reizte ihn, war allerdings mit einem gewissen Risiko verbunden, da er direkt unter den Augen von Cronens tätig sein würde. »Ich suche Arbeit.«
Gromann stand auf und verschwand für ein paar Minuten aus dem Wirtshaus, um danach mit einem hageren, hochgewachsenen Mann zurückzukehren. »Das ist Kramer, der Hafenmeister«, stellte er seinen Begleiter vor.
Am nächsten Morgen begann Hinrik mit seiner Arbeit als Kranführer im Hafen. Er verdiente nicht viel, aber es reichte zum Überleben. Dazu überließ ihm der Hafenmeister ein kleines Boot, auf dem er schlafen konnte. Es lag in einem stillen Seitenarm der Alster, einem Fleet, nahe einer Brücke. Es war eng auf dem Boot, aber es schlief niemand in der Nähe, der ihn störte, und er konnte |149| kommen und gehen, wann immer er wollte. Und das passte ihm in den Kram.
Die Arbeit war leicht und angenehm – nichts im Vergleich dazu, was die Männer an den Seilen leisten mussten. Der Hafenmeister hatte kräftige Männer ausgesucht, die einfachen Gemüts waren, Gefangene, die aneinandergebunden wurden, damit sie nicht flohen.
»Zwei der Burschen waren Freibeuter«, berichtete ein Wächter, der die Häftlinge niemals aus den Augen ließ. Hinrik setzte sich in den Pausen zu ihm auf ein Fass oder ein Bündel mit Waren. »Sie haben in Diensten Störtebekers gestanden. Ihr Glück war, dass hier am Hafen dringend ein paar Männer für die Seile gebraucht wurden. Deshalb hat Richter von Cronen sie nicht dem Henker übergeben. Sonst hätte man längst ihre Schädel bewundern können.« Breit grinsend blickte er zu den Häftlingen hinüber, die sich neben dem Kran in den Schatten gesetzt hatten, um sich auszuruhen. Lange würde die Pause nicht dauern, denn schon näherten sich zwei Koggen. Sie lagen tief im Wasser, was darauf hindeutete, dass sie bis an den Rand beladen waren. »Aber das heißt noch lange nicht, dass sich von Cronen zufriedengibt. Manchmal lässt er die armen Teufel bis zum Umfallen schuften und verspricht ihnen, dass ihre Strafe damit abgegolten ist, um sie später dann doch aufs Schafott zu schicken.«
Hinrik erhob sich, ging zum Kran und bereitete ihn für die Arbeiten vor. Er kontrollierte die Seile und die Ketten, fettete die Lager der Rollen und überprüfte, ob der Eisenhaken am Ende des Seils ausreichend befestigt war. Seit er mit dem Kran arbeitete, hatte er ihn nach und nach verbessert. Er hatte einige Schwachstellen aufgespürt, das Getriebe gängiger gemacht und dafür gesorgt, dass der Kran sich leichter bewegen ließ. In dieser Hinsicht hatte sein Vorgänger nichts getan. Vor allem brachte Hinrik die |150| Sichtluken in Ordnung, die sich vorn am Kran und an seinen Seiten befanden. So konnte er sowohl das Geschehen an Bord der Schiffe als auch im Hafen verfolgen. Das war notwenig, um die Lasten richtig aufnehmen, dirigieren und absetzen zu können. Für ihn ergab sich darüber hinaus der Vorteil, dass er beobachten konnte, was in seiner unmittelbaren Nähe geschah, ohne selbst gesehen zu werden.
Beinahe täglich suchte Wilham von Cronen, begleitet von einem rothaarigen, auffallend bleichen Diener oder von wohlhabenden Kaufleuten, den Hafen auf, um seine Geschäfte zu tätigen und das Be- und Entladen der Schiffe zu kontrollieren. Je öfter er erschien, desto deutlicher wurde, dass er ein Mann von großem Einfluss war, der von allen respektiert und gefürchtet wurde. Je niedriger der Rang der Männer und Frauen war, die mit ihm zu tun hatten, desto unterwürfiger war ihr Verhalten ihm gegenüber.
Hinrik entwickelte immer neue Pläne für seinen Rachefeldzug gegen diesen Mann, um sie gleich wieder zu verwerfen, weil sie nicht realisierbar waren. Einige Male erwog er, einfach zu ihm zu gehen und ihn zu töten, doch rückte er von solchen Gedanken stets wieder ab. Er wollte den Ratsherrn und Richter nicht umbringen, ohne ihm vorher Gelegenheit zu geben, über das nachzudenken, was er getan hatte. Und dazu musste er von ihm und seinen Angriffsabsichten erfahren.
Verschiedentlich stand von Cronen direkt neben dem Kran, und einmal sprach er sogar mit Hinrik, um dafür zu sorgen, dass besonders schwere Lasten sicher an Bord eines Schiffes gelangten. Er
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