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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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seine Arbeit bis in den späten Abend hinein fort. Als er am nächsten Morgen von seinem Boot zum Hafen schlenderte, vernahm er schon von weitem aufgeregtes Geschrei. Er beschleunigte seine Schritte. Neben dem Kran hatte sich eine Gruppe von Männern versammelt. Auf dem Boden lag ein Mann, der stark blutete.
    »Was ist passiert?«, fragte er und schob einige Männer zur Seite, um zu dem Verletzten vorzudringen.
    »Der Dummkopf wollte nicht auf Euch warten und hat damit begonnen, Bierfässer aufs Schiff zu bringen. Dabei ist er hingefallen und hat sich das Bein aufgerissen«, antwortete einer der Hafenarbeiter.
    Hinrik ging in die Hocke und untersuchte das Bein. Aus einer Ader schoss pulsierend Blut. Damit der Mann nicht noch mehr Blut verlor, ließ er sich zwei Hölzer und einen kräftigen Bindfaden reichen. Geschickt band er die verletzte Ader ab und stillte so die Blutung. Er war kaum fertig, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. »Gute |154| Arbeit, junger Mann, aber nun geh mal zur Seite. Ich übernehme. Ich bin Arzt.«
    Als Hinrik aufsah, traf ihn beinahe der Schlag. Die Hand auf seiner Schulter gehörte Hans Barg, dem Arzt aus Itzehoe. Neben ihm stand Greetje, die inzwischen eine schöne junge Frau war.
    »Hinrik?«, flüsterte sie, während sich ihr Vater um den Verletzten kümmerte. »Hinrik vom Diek?«

|155| Eine neue Erfindung
    »Kommt herein, armer Mann«, lud Karsten Bartholomaeus den Gaukler ein. Er stand in der offenen Tür seines Häuschens, das von den größeren Häusern in seiner Nachbarschaft schier erdrückt wurde und in seiner Bescheidenheit einen recht verlorenen Eindruck machte. Es wollte nicht so recht zur Bedeutung seines Besitzers passen. »Ein gutes Stück Kuchen habe ich immer für Euch.«
    Fieten Krai setzte ein breites Lächeln auf, legte die rechte Hand auf das Herz und verbeugte sich tief, um Demut zu beweisen. »Das höre ich gern«, bedankte er sich. »Ich habe schwere Tage hinter mir und kann eine Stärkung wohl gebrauchen.«
    Bartholomaeus ging zur Seite und ließ ihn eintreten. Er war ein kleiner Mann, der sich kerzengerade hielt und mit Hilfe seiner dicken Holzschuhe ein wenig größer zu erscheinen suchte, als er tatsächlich war. Aus dem gleichen Grund bürstete er vermutlich sein kurzes Haar senkrecht in die Höhe, um auch dadurch ein paar Fingerbreit zu gewinnen. Er hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht mit grauen Augen, die halb unter seinen schweren Lidern verborgen waren. Eine dicke Warze an seinem Kinn verunzierte sein Gesicht. Er schloss die Tür hinter dem Gaukler und führte ihn dann in eine gemütlich eingerichtete Stube, durch deren rückwärtige Fenster man auf die Alster hinaussehen konnte.
    Die beiden Männer setzten sich an einen einfachen Tisch, wo Bartholomaeus einen Krug mit Wasser und eine |156| Schale mit Kuchenstücken gedeckt hatte. Doch weder er noch sein Gast bediente sich. Beide verhielten sich ganz anders als zuvor, als man sie noch von der Straße aus hatte beobachten können. Als hätten sie ihre Masken abgelegt, waren sie nun wie gute Bekannte gleichen Ranges, die vertraut miteinander umgingen.
    »Gut, dass Ihr vorbeikommt, Fieten«, eröffnete Bartholomaeus das Gespräch. Sein Äußeres ließ nicht erkennen, dass er ein Mann von Rang und Namen war. Sein Einkommen war höher als das der meisten Einwohner in diesem Teil der Stadt, so dass er sich ohne weiteres ein größeres und schöneres Haus hätte leisten können. Die Einrichtung allerdings zeigte, dass er Geschmack und Geld hatte. Es gab aufwendig gestaltete Möbel, Gemälde an den Wänden und einen gedrechselten Treppenaufgang ins obere Stockwerk. Wenn Fieten Krai in diesem Haus war, fiel ihm immer auf, wie sauber es hier war und wie groß die beiden Fenster zur Alster hin waren. Die Fensterläden wurden bei kühlem oder nassem Wetter geschlossen und hatten an der Innenseite Rollen aus durchsichtigem Papier, eine Kostbarkeit, die man nur selten fand.
    Bartholomaeus war dennoch ein Mann ohne große Ansprüche. Umso mehr Wert legte er auf Recht und Ordnung. Wie Wilham von Cronen war er Richter. Er galt aber, im Gegensatz zu jenem, als ein Mann, der wohl bemüht war, die Ordnung wiederherzustellen, die durch Verstöße gegen das Gesetz gestört worden war, der jedoch recht milde Urteile fällte und für die Täter manchmal ebenso Verständnis hatte wie für die Opfer. Er wusste, dass manche Tat aus purer Verzweiflung geschah und nicht aus Habgier, Hass oder Eifersucht. Die Zahl derer, die

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