Der Blutrichter
er zum Tod verurteilte, war gering und nahezu unbedeutend im Vergleich zu von Cronen.
»Was kann ich für Euch tun?«, fragte Fieten Krai.
|157| »Ich möchte, dass Ihr jemandem eine Nachricht überbringt«, antwortete der Richter. »Es ist dringend.«
»Erfahre ich, worum es geht, oder gebt Ihr mir nur ein Schreiben mit, dessen Inhalt ich nicht kenne, das mich aber Kopf und Kragen kosten kann, wenn es in die falschen Hände gerät?«
»Keine Sorge, Fieten. So etwas würde ich niemandem antun, schon gar nicht einem Freund.« Er erhob sich, ging zu einem Schrank und kehrte mit einigen Blättern aus kostbarem Pergament zurück, die er auf dem Tisch ausbreitete. »Wie Ihr Euch denken könnt, geht es um Wilham von Cronen, meinen Kollegen. Er ist ein selbstherrlicher Mann, der Schande über unseren Richterstand bringt, indem er Urteile ganz nach seinem Gutdünken und seinen Geschäftsinteressen fällt. Bei diesem Fall geht es um eine bedauernswerte Witwe, die er nach den mir vorliegenden Informationen um ihr gesamtes Vermögen gebracht, sie aber des Betrugs bezichtigt hat. Damit sie ihm keine Schwierigkeiten bereiten kann, hat von Cronen ihr die Zunge herausschneiden lassen. Und weil sie nicht lesen und schreiben kann, hat sie keine Möglichkeit, sich zu äußern. Dem Urteil entsprechend soll sie in zehn Tagen in einem Fleet ertränkt werden. Nun ist es mir gelungen, einen Zeugen aufzutreiben, der bestätigt, dass sie vollkommen unschuldig ist, und der weiß, was Cronen getan hat. Das steht alles in diesem Schreiben.«
»Und was erwartet Ihr von mir?« Fieten Krai glaubte dem Richter vorbehaltlos. Er kannte Karsten Bartholomaeus schon seit vielen Jahren, und er wusste, dass er ein ehrenwerter Mann war. Gern entsprach er dem Wunsch des Richters, ihre Freundschaft vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Das gab Bartholomaeus die Möglichkeit, ihn hin und wieder als Kundschafter einzusetzen. Als Gaukler kam er viel herum und konnte sich überall unter das Volk |158| mischen. Auf diese Weise erfuhr er manches, was anderen verborgen blieb.
»Ich kann diese Frau mit Hilfe der anderen Richter retten und zugleich von Cronen ein Bein stellen. Der Mann wird allmählich größenwahnsinnig. Wer weiß, was er noch alles anrichtet, wenn ihm nicht endlich jemand Einhalt gebietet. Leider sind von den Richtern nur von Cronen und ich in der Stadt, die anderen sind für eine gewisse Zeit in Lübeck und Wismar. Ich möchte Euch bitten, sofort dorthin aufzubrechen und ihnen die Nachricht zu bringen. Sie müssen nach Hamburg zurückkehren und mir helfen zu verhindern, dass sich von Cronen das Vermögen der Witwe einverleibt und seine Macht weiter ausbaut.«
Fieten Krai nahm den Umschlag und drehte ihn nachdenklich in den Händen. Schließlich blickte er den Richter prüfend an: »Das sind alle Beweise gegen von Cronen?«
»Natürlich nicht!« Bartholomaeus lächelte flüchtig. »Ich bin nicht so dumm, alle Beweise aus der Hand zu geben. Selbstverständlich vertraue ich Euch, aber ich weiß nicht, ob Ihr heil ankommt und das Schreiben übergeben könnt. Es könnte verloren gehen. Ich bin nicht sicher, dass wirklich alle anderen Richter gegen von Cronen sind oder ob nicht doch der eine oder andere gemeinsame Sache mit ihm macht. Daher habe ich alles noch einmal hier in meinem Haus.«
Fieten Krai nickte. »Dann bin ich beruhigt. Jedoch muss Euch klar sein, dass Ihr ein hohes Risiko eingeht. Von mir erfährt niemand etwas, aber wie Ihr ganz richtig sagt, einer der anderen Richter könnte plaudern.« Er erhob sich und reichte Bartholomaeus die Hand. »Ich will gleich aufbrechen. Je schneller ich nach Lübeck und Wismar komme, desto besser.«
»Ihr werdet es nicht bereuen«, versprach der Richter, während er ihn zur Tür begleitete.
|159| »Das habe ich noch nie«, gab Fieten Krai zurück. »Ihr habt mich jedes Mal reichlich belohnt, wenn ich Euch einen Dienst erwiesen habe.«
»So wird es auch dieses Mal sein.«
»Gute Arbeit«, lobte Hans Barg erneut, als er sich aufrichtete und einige Männer den Verletzten auf ein breites Brett legten, das sie als Trage benutzten. Er sah Hinrik wohlwollend lächelnd an. »Wie ist Euer Name?«
Hinrik zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Ach, nicht so wichtig.«
»Ihr habt dem Mann das Leben gerettet«, stellte Greetje fest. »Ohne Euch wäre er längst verblutet. Wer einen so guten Dienst leistet, sollte einen Namen haben.«
»Hinrik«, erwiderte er leise. Der Arzt hörte es nicht. Er befahl
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