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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Schifffahrt kam ganz zum Erliegen. Damit brach eine harte Zeit für Hinrik an, denn im Hafen gab es nichts mehr zu tun. Er musste von seinen kärglichen Ersparnissen leben, und wenn er sich um Arbeit in der Stadt bemühte, dann stand er im Wettbewerb mit Hunderten anderer Männer, die ihr Brot bis dahin im Hafen verdient hatten.
    Abend für Abend begleitete er Greetje durch die engen, verwinkelten Gassen der Stadt zum Haus Wilham von Cronens hin, wo sie die von ihrem Vater zubereitete Medizin ablieferte. Sie kamen sich näher, wurden vertrauter miteinander, doch gab es keine Zärtlichkeiten zwischen ihnen. Er sehnte sich nach ihr, hätte sie am liebsten in die Arme genommen, um ihre Wärme zu spüren und ihre Nähe. Das Bewusstsein allerdings, dass er ein armer Mann war, der auf einem heruntergekommenen Boot hauste und kaum noch genügend Geld für ein paar Brotkrumen hatte, hemmte ihn und ließ ihn Abstand wahren. Er merkte, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, doch er wollte die zarten Bande, die zwischen ihnen entstanden, nicht zerstören, indem er die Grenze überschritt.
    Greetje war ihm dankbar, dass er sie begleitete und beschützte. Ohne ihn hätte sie kaum gewagt, durch die dunklen Gassen zu gehen.
    »Von Cronen könnte ja jemanden zu uns schicken, der die Medizin abholt«, sagte sie eines Abends, als sie vor ihrem Haus standen. »Aber er lässt nicht mit sich reden. Ich mag ihn nicht. Ihn nicht und seinen affektierten Sohn |181| Christoph auch nicht. Aber was soll ich tun? Ich muss meinem Vater gehorchen.«
    Dagegen gab es nichts zu sagen. Es war lange her, dass sie über den Ratsherrn und seinen Sohn gesprochen hatten. Hinrik hatte das Thema weitgehend vermieden, weil er fürchtete, sie könnte ihn durch ein unbedachtes Wort ihrem Vater oder gar von Cronen gegenüber in Schwierigkeiten bringen. Es hielt es für besser, ihr nichts von seinen Racheplänen zu verraten. Und so war es ihm recht, als sie übergangslos zu einem anderen Thema kam.
    »Wieso lebt Ihr eigentlich nicht mehr als Ritter?«, wollte sie wissen. »Könntet Ihr Euch nicht wieder als Ritter verdingen?«
    »Ich habe Itzehoe mit großen Ambitionen verlassen, nachdem Christian mich im Kloster zum Ritter geschlagen hat«, erwiderte er. »Ich bin ins Frankenland gezogen, habe dort an mehreren Turnieren teilgenommen und gewonnen. An anderen wollte ich teilnehmen, konnte aber nicht, weil schon zu viele andere Ritter da waren. Dazu müsst Ihr wissen, dass es für einen Ritter darauf ankommt, einflussreiche Freunde im Hochadel zu haben. Sie sorgen dafür, dass man bei jenen Turnieren antreten kann, bei denen es wirklich viel Geld zu gewinnen gibt. Hat man sie nicht, und ich hatte sie nicht, muss man auf vielen kleinen und unbedeutenden Turnieren kämpfen, in der Hoffnung, bekannt zu werden. Ich war auf einem guten Weg, bis ich schwer verletzt wurde und einige Monate lang nicht kämpfen konnte. Danach ging alles von vorn los. Um über die Runden zu kommen, musste ich ebenso wie andere Ritter bei den Bauern auf dem Feld arbeiten. Rüben ernten.«
    Sie hörte staunend zu. »Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich dachte, die fahrenden Ritter sind |182| hauptsächlich unterwegs, um zu Ehre und Ruhm zu gelangen.«
    »So klingt es in den vielen Liedern, die gesungen werden und die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.« Er lächelte sie verständnisvoll an. Zu Beginn seiner Zeit als Ritter hatte er genauso gedacht. »Es geht schon los mit der Ausrüstung. Als ich Itzehoe verließ, hatte ich nichts als meinen Status als Ritter, mein Land und ein Pferd, das mir Christian übereignet hatte. Für meine Ausrüstung und zwei Packpferde musste ich dreiundvierzig Kühe eintauschen, die ich damals noch nicht hatte. Der Helm allein hat fünf Kühe gekostet. Das Schwert sieben. Hätten meine Bauern mir keine Pacht gezahlt, hätte ich gar nichts ausrichten könnten. So wie mir ging es allen Rittern, denen ich begegnet bin. Die meisten träumten davon, die Tochter eines reichen Mannes oder eine wohlhabende Witwe heiraten zu können, um sich auf diese Weise ein angenehmes Leben zu sichern. Die anderen lebten von trocken Brot, Wasser und Rüben.« Er sah lachend zum bewölkten Himmel hinauf. »Oh, ich will mich nicht beklagen. Mein Vater wollte, dass ich Ritter werde, und ich wollte es auch. Ich habe das alles auf mich genommen, weil ich davon geträumt habe, ganz nach oben zu kommen. Es gibt ja wirklich Ritter, die es geschafft haben. Begegnet bin

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