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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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Ziel. Genauso oft aber wartete er auch vergebens – das Schicksal des Jägers.
    Natan schob ein fleischiges Blatt zur Seite und blickte zur Mauer. Die Wachen standen dort wie jede Nacht, unbeweglich wie aus Stein gehauen. Nichts deutete darauf hin, dass es eine Verbindung zwischen den todbringenden Veränderungen im Wald und dem flüsternden Volk gab. Aber das mochte nichts heißen.
    Plötzlich tat sich doch etwas. Ein Frosch sprang in den Fluss. Natans Nerven vibrierten. Sofort war er in höchster Alarmbereitschaft.
    Die Umrisse zweier Männer materialisierten sich aus dem Schatten der Mauer. Generäle! Wenn sie auf Patrouille sein sollten, stellten sie sich nicht besonders geschickt an. Mehrmals trat einer von ihnen auf morsche Stöcke. Der Kleinere stieß sich an einem Ast und fluchte leise vor sich hin. Erst nach einer Weile wurde es Natan klar: Sie waren es nicht ge wohnt, sich nachts außerhalb der Mauern zu bewegen. Schnur stracks wateten sie durch den Fluss auf die Lagune zu. Natan hob den Speer.
    Â»Er muss hier irgendwo hocken«, brummte eine tiefe Stimme. »Die Wachen haben ihn den ganzen Fluss entlang verfolgt.«
    Der zweite rutschte auf einem Stein aus und hielt nur mit Mühe sein Gleichgewicht.
    Â»Lasst uns in die Stadt zurückgehen, Kapnu Singa«, bat er untertänig. »Was soll ein Krokodilreiter schon ausrichten?«
    Der andere lachte. »Die Grünen sollen wissen, dass sich keiner von ihnen hier herumzutreiben hat. Sein Tod wird den anderen eine Warnung sein!«
    Die meinen mich!, dachte Natan mit einem Anflug von Panik. Die suchen nach mir! Wie hatte er nur so überheblich sein können, mitten auf dem Fluss nach Paititi zu reiten? Wenn diese Menschen etwas mit den Veränderungen im Wald zu tun hatten, warteten sie doch nur auf seinen Besuch!
    Natan belauschte das Gespräch noch eine Weile. Die beiden Männer diskutierten heftig, schließlich stritten sie sich sogar.
    Er umklammerte den Speer noch fester. Wenn er kämpfen musste, würde er kämpfen. Doch bitte nicht jetzt!, flehte er innerlich. Nicht bevor ich sie noch einmal gesehen habe! Sternauge.
    Auf allen vieren krabbelte Natan rückwärts. Unten am Fluss wartete Gator, treu und verlässlich. Doch um zu seinem Reittier zu gelangen, musste Natan den Weg der beiden Generäle kreuzen. Gewohnt an die Finsternis, stand er auf und schlich lautlos im weiten Bogen durch das Buschwerk.
    Plötzlich hatte er sie aus den Augen verloren. Er blieb stehen und sah sich um. Wo waren die Männer? Waren ihre plumpen Bewegungen vielleicht bloß ein Täuschungsmanöver gewesen, um ihn in Sicherheit zu wiegen?
    Als Natan nur noch zehn Schritte vom Ufer entfernt war, stürzte von den Ästen über ihm etwas herab. Augenblicklich spürte er einen entsetzlichen Schmerz in der rechten Schulter. Krallen bohrten sich ihm ins nackte Fleisch. Vor Schreck ließ Natan den Speer los. Ein markerschütternder Schrei ertönte. Es war ein Vogel. Ein riesiger Vogel mit kahlem Hals. Das Biest kreischte noch einmal, dann schlug es seinen Schnabel erneut in Natans Wunde.
    Er biss die Zähne zusammen, um sich ja nicht durch einen Laut zu verraten, aber die Schmerzen übermannten ihn. Er schrie wie noch nie in seinem Leben.
    Als er wegrennen wollte, stolperte er unglücklich und fiel der Länge nach hin. Hastig rappelte er sich auf, bekam dabei einen Stock zu fassen und schlug blindlings auf den Vogel ein. Doch der Winkel war zu ungünstig, den Schlägen fehlte die Wucht.
    Wieder holte das Vieh mit dem Schnabel aus. Im Licht des vollen Mondes sah Natan den blutverschmierten Kopf des Tiers. Sein Blut.
    Blitzschnell änderte er seine Strategie und stieß mit dem stumpfen Ende des Stocks zu. Sein Schlag traf den Hals. Der Vogel kreischte und lockerte seinen Griff. Der zweite Schlag traf die Brust. Taumelnd fiel der Vogel in den Farn. Natan wollte ihm den Todesstoß versetzen und holte trotz der enormen Schmerzen in seiner rechten Schulter mit beiden Armen weit aus. Bevor er jedoch zuschlagen konnte, zerriss ein lautes Heulen die Stille der Nacht. Gator.
    Natan zögerte nur einen Sekundenbruchteil. Dann ließ er den Knüppel sinken und raste zum Flussufer.
    Das Krokodil zappelte in Todesangst. Einer der Männer versuchte, es mit einer Art Schlinge an Land zu ziehen. Natan konnte viel ertragen, wenn sich aber jemand an seinem besten Freund vergriff, kannte er keine

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