Der Bodyguard: Zwischen High Society und Unterwelt (German Edition)
suchte einmal, das war so Mitte der Neunziger, für die Vorbereitung auf einen Kampf einen Trainer, und er fragte mich. Ich habe lange überlegt, weil das enorm viel Verantwortung bedeutete. Als Profi-Boxtrainer steht man im Mittelpunkt. Nicht so wie beim Kickboxen, das relativ unbekannt war und im TV keine Beachtung fand. Aber ich betrachtete Gracianos Angebot als Herausforderung und trainierte ihn.
Ich ließ mir ein abwechslungsreiches und gutstrukturiertes Training einfallen. Die ersten zwei, drei Wochen war er extrem begeistert, weil ich viele neue Ideen fürs Training hatte. Zum Beispiel blindes Schattenboxen. Er musste sich die Augen verbinden und dann auf meinen Zuruf loslegen. Aber nicht irgendwo in die Luft, sondern gegen die Pratzen, nur vom Gehör her. Das ist sehr gut, um viel tiefer in sich hineinzuhören. Man entwickelt den richtigen Instinkt und ein gutes Gefühl für das Boxen. Die erste Zeit lief unser Training super, bis ich bei verschiedenen Leistungstests feststellte, dass Graciano generell schlecht in Form war. Er musste auf dem Laufband den sogenannten Zwölf-Minuten-Cooper-Test machen: zwölf Minuten laufen, dann wird der Fitnesszustand errechnet. Das Ergebnis war einfach schlecht. Sparringspartner wurden eingeflogen, die mit ihm trainierten. Nach zwei, drei Wochen wollte er wieder seinen alten Stiefel machen. Er war schwer zu führen. In der Endphase meinte er, ich solle ihm vertrauen, er habe alles im Griff. Schließlich gewann er den Kampf zwar, aber konditionell war er erwartungsgemäß nicht besonders stark.
Der Höhepunkt der ganzen Sache war ein Zwischenfall mit Gracianos Frau Christine bei einem Frühstück in einem Hotel in Hannover, direkt vor seinem Kampf. Ich saß mit meiner Frau Martina dabei. Grace und Christine waren dafür bekannt, dass sie sich oft in die Flocken kriegten. Nach einem kurzen Geplänkel flippte Christine völlig aus: »Ich will jetzt nach Hause! Gib mir den Autoschlüssel!« Dann rannte sie raus zu ihrem Auto, setzte sich rein und wollte losfahren. Er rannte ihr hinterher und sprang auf die Motorhaube. Sie fuhr ein Stück los, bremste und er sprang wieder runter. Sie stieg aus. Keine fünf Minuten später kamen die beiden Arm in Arm wieder ins Hotel rein und sagten: »War doch eine gute Show, oder?«
Martina ist völlig vom Glauben abgekommen. So was Durchgeknalltes kannten wir nicht. War spannend, diese Zeit. Grace, der »Dickkopf«, und ich sind bis heute Kumpels geblieben.
Bevor ich 1994 – in meiner Gewichtsklasse bis 60 kg ungeschlagen – abgetreten bin, hatte ich noch einen unfassbaren Kampf. Eine wahre Ringschlacht, wieder in der Deutschlandhalle in Berlin. Ich sollte gegen eine schwarze Kampfmaschine aus Holland antreten: Gilbert Ballentine, Kampfgewicht: bis 63,5 kg.
Da war ich echt mal etwas überheblich gewesen. Wenn man in seiner eigenen Gewichtsklasse dauernd gewinnt, bekommt man das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Man kann sich nicht vorstellen, wie viel etwas mehr Gewicht und Größe dann doch ausmachen können. Ich war sehr zuversichtlich, dass die nächsthöhere Gewichtsklasse für mich kein Problem sein würde.
Insgesamt war dann aber nicht nur meine überhebliche Art, sondern auch meine Taktik während des Kampfes falsch: Ich war ein super Techniker, Ballentine ein Zerstörer. Und ich wollte ihn mit seinen eigenen Mitteln schlagen, anstatt mit Technik zu punkten. Das war falsch, das konnte nicht gutgehen.
Bei der Videoauswertung im Vorfeld hatte ich gedacht: Den kann ich besiegen, kein Problem! Ganz Europa wollte, dass wir gegeneinander kämpfen. Es gab eine riesen Promo, und die Stimmung war irre: Die Deutschlandhalle war brechend voll, 10 000 Leute.
Schon beim Walk-in hatte ich einen Puls von über 200, so gigantisch wurde ich vom Berliner Publikum empfangen. Ich war total überdreht und hochmotiviert. Und dann kam der Dämpfer! Gleich zu Beginn des Kampfes spürte ich, wie Ballentines Faust auf mein Kinn krachte. Rums! Nach zehn Sekunden in der ersten Runde hatte er mich bereits auf die Bretter geschickt. Ich lag am Boden. Wurde angezählt.
Doch ich habe mich in den Kampf zurückgefightet. Es ging dann noch elf unendlich lange Runden – kämpfen, kämpfen, kämpfen – bis zum Schlussgong. Ich dachte jede Sekunde, der muss Popeye-Spinat genommen haben. Bislang war es in meiner ganzen Laufbahn nicht einmal vorgekommen, dass ich meinen Gegner mit meinen Schlägen und Kicks zum Lachen gebracht habe. Aber Gilbert lachte
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