Der böse Geist vom Waisenhaus
hat ihr das eingetrichtert. Sie war verwirrt und unsicher. Was der mit ihr
macht, kommt mir vor wie Gehirnwäsche. Anna sehnt sich sehr nach der Mamma.
Fragt immer, wann sie zurückkäme. Schengmann hat ihr erzählt, sie sei
verreist.“
„Ewig kann er das nicht
behaupten“, sagte Tim.
„Habt ihr ihn gesprochen?“
fragte Gaby.
Tim schüttelte den Kopf. „Es
kam alles ganz anders.“ Aufmerksam hörten Karl und Gaby sich an, was er
erzählte. „Du hast also Kommissar Heuser nichts gesagt von dem Raser im
schwarzen Audi“, stellte Gaby fest.
„Kein Wort.“
„Hm.“
„Ich nehme das auf mich.“
„Mit der Bereitschaft zur
Verantwortung ist es nicht getan. Die Polizei ist auf Zeugen angewiesen.“
Tim hob die Achseln. „Heuser
vermurkst doch alles. Den Millionendieb nehmen wir uns vor. Aber das müssen wir
verschieben. Heute erfahren wir nicht mehr, auf wen der Audi zugelassen ist.
Morgen wäre das deine Aufgabe, Pfote.“
Gaby nickte.
„Schengmann“, sagte Tim, „ist
vermutlich noch im Krankenhaus. Oder muß im Präsidium sein Aussage-Protokoll
unterschreiben. Aber vor 18 Uhr, schätze ich, holt er Anna hier ab. Und heute
abend rücken wir ihm nochmal auf die Bude. Mit dem Taschentuch seiner Frau —
dem Beweis, daß sie im Haus war, vermutlich gestern.“
„Damit entblößen wir uns
allerdings“, wandte Karl ein. „Was?“ fragte Klößchen. „Striptease?“
Karl verdrehte die Augen. „Ich
meine, wir geben zu erkennen, daß wir heimlich in seinem Haus waren. Sozusagen
als Einbrecher.“
„Das erklären wir ganz frech“,
sagte Tim. „Nachdem wir vergeblich geklingelt hatten bei ihm, stellten wir
fest: Die Hintertür steht offen. Wir vermuteten Einbrecher. Um die zu
vertreiben, mußten wir ins Haus. Statt der Einbrecher haben wir das Taschentuch
gefunden. Daß wir mit der Nachbarin geredet haben, lassen wir unerwähnt. Okay?“
„Glaubt er nie“, sagte
Klößchen.
„Kann uns egal sein. Es kommt
nur darauf an, wie wir dastehen.“
Er sah zur Uhr. „Wird Zeit, daß
wir unsere Zahnbürsten holen. Sonst denkt der EvD (Erzieher vom Dienst), wir würden auf das freie Weekend (Wochenende) verzichten.“
„Wieso?“ fragte Gaby. „Habt ihr
euch abgemeldet? Wieso weiß ich das nicht?“
„Entschuldige!“ Tim legte den
Arm um seine Freundin. „Wegen Anna ist mir das ganz aus dem Bewußtsein
gefallen. Willi verbringt das Wochenende angeblich bei seinen Eltern. Mich
haben Karls Eltern eingeladen. Tatsächlich kommt Willi mit dorthin. Wir sind
also zu dritt bei Karl.“
„Aber eure Sachen habt ihr noch
im Adlernest?“
Klößchen grinste. „Ich wollte
nicht mit mir rumschleppen, was der junge Mann von Welt so braucht, wenn er
drei Nächte und zwei Tage abseits der gewohnten vier Wände weilt: Pyjama,
Pantoffeln, Zahnbürste, Gesichtscreme, Körperöl, Haarwasser, Gesichtswasser,
Wäsche, Socken zum Wechseln und natürlich sechs bis acht Tafeln Schoko.“
„Und was brauchst du als junger
Mann von Welt?“ fragte Gaby ihren Freund.
„Zahnbürste und zwei
Unterhosen. Alles andere leihe ich mir von Karl.“
„Willi“, sagte Gaby, „du hast
offensichtlich mehr Kultur. Ein Glück, daß du dich noch nicht rasierst — sonst
brauchtest du einen Schrankkoffer fürs Wochenende.“
Gaby mußte heim. Karl übernahm
die Begleitung. Es dunkelte rasch; und Oskar, mit dem die Kinder im
,Dornröschen’ gespielt haben, war müde wie ein Hund.
„Um sieben holen wir dich ab“,
sagte Tim zu ihr. „Dann ist Schengmann zu Hause und Anna schon im Bett.“
*
Wolpert, der Teppichhändler,
fühlte sich großartig. Seine Gedanken waren auf den Abend gerichtet. Auf die
Unfallstelle und das dichte Gebüsch in der Senke.
Als heimlicher Beobachter aus
erhöhter Lage hatte Wolpert sehen können, wo Schengmann die Frachtsäcke
versteckte.
Eine besonders kräftige
Grauerle wuchs dort, und das Gestrüpp war urwalddicht.
Wieviel Geld mochte in den
Säcken sein?
Er schob die Frage beiseite,
denn auf dem Hof draußen wartete Hugo Dansik, der böse Geist vom Waisenhaus,
einem privaten Waisenhaus, das etwas außerhalb der Stadt lag neben einem
Kasernen-Gelände. Das stand leer. Jahrzehntelang waren US-Soldaten dort
stationiert gewesen. Aber die waren abgezogen, zurück in die Heimat — im Zuge
der Verringerung der Nato-Streitkräfte.
Das Waisenhaus bot Platz für
drei Dutzend Kinder. Dansik leitete es zusammen mit zwei Helfern. Zugewiesen
wurden ihm die Kinder vom Staat — zugleich mit den
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