Der böse Geist vom Waisenhaus
recht.“
„Ihr wißt also nichts weiter“,
stellte Beule fest und drückte sich von der Wand ab — erst mit einer Schulter,
dann mit der andern.
„Mir fällt ein“, sagte Tim:
„Christian hat sich im Stadtwald eine Baumhütte gebaut. Im Sommer hat er sie
uns gezeigt. Das sei sein Lieblingsplatz. Er sei dort lieber als zu Hause.“
„Im Stadtwald?“
„In der Nähe vom Grillplatz,
also nicht weit von den letzten Häusern.“
„Du meinst, er könnte jetzt
dort sein?“
Tim hob die Achseln. „Auf jeden
Fall werden Willi und ich nachsehen, wenn wir jetzt zur Stadt fahren. Die Hütte
besteht nur aus Brettern und Zweigen. Bei diesem Wetter friert man sich dort
den... äh... die Nase ab. Aber vielleicht ist es für Christian eine Art
seelischer Fluchtbunker. Und dann sind Kälte und Regen kein Hindernis.“
„Ihr seht euch dort um?“
vergewisserte sich Beule.
„Sind schon auf dem Weg.“
„Nett von euch.“
„Man muß ja was tun“, knurrte
Klößchen, „für seine Fans.“ Der Umweg — kein großer — war ihm nicht recht.
Die Jungs liefen zum Adlernest
hinauf.
Tim hatte seine Tasche schon
gepackt. Natürlich enthielt sie mehr als Zahnbürste und zwei Unterhosen.
Klößchen zählte seinen
Schoko-Proviant. Nur sechs Tafeln. Er legte noch zwei dazu.
Tim suchte in seinem Schrank.
Wo war die Taschenlampe? Er hatte sie lange nicht benutzt. Schließlich fand er
sie unten im Nachttisch.
Für einen Moment blieb Klößchen
vor dem Spiegel stehen. „Wir sind ziemlich dreckig, sozusagen schlammbespritzt.
Ob uns Karls Mutter so ’reinläßt?“
„Einladung ist Einladung.
Außerdem ziehen wir uns um, wenn wir im Haus sind. Ich habe meinen weinroten
Jogginganzug mit. Und du?“
„Nur den grünen Schlafanzug.“
„Willst du dich so an den Tisch
setzen?“
Klößchen fluchte, kramte in
seinem Spint, fand nichts geeignetes und entschied sich schließlich für weiße
Tennisshorts und einen dicken Kapuzenpulli mit der Aufschrift Weltmeister von
morgen 4 .
„Der junge Mann von Welt“,
sagte Tim, „hat’s nicht leicht,
was?“
„Ich wollte ja nur Gaby
beeindrucken.“
„Ist dir gelungen.“
Draußen war jetzt totale
Dunkelheit. Es regnete stärker. Und der Wind kam anscheinend aus allen
Richtungen gleichzeitig.
Der Stadtwald umgürtet einen
Teil der Großstadt — etwa in der Form einer Banane, also ein ausgedehntes, aber
schmales Waldgebiet.
Straßen führen zum Rand, Wege
hinein. Bei schönem Wetter spazieren Lufthungrige, Hunde dürfen von der Leine,
Jogger hecheln ihre Pflichtrunden, und an lauen Sommerabenden riecht es rund um
den Grillplatz nach Bratwurst und Schweinerippchen.
Gepflegte Wege, aber abseits
dieser wuchert Dickicht und Unterholz. Man beläßt es. Vermutlich, um der
Bevölkerung vorzuspiegeln, daß das mit dem Waldsterben gar nicht so schlimm
sei, die Natur immer noch genug Kraft zur Selbstheilung habe — trotz der
Verpestung der Atemluft aus den Auspuffrohren der 44 Millionen Autos, die man
in Deutschland diesjährig gezählt hatte.
Naturbelassene Natur also als
politisches Alibi. Und dort mittendrin hatte Christian seine Baumhütte
errichtet — am Ende eines zugewachsenen Pfades.
Tim und Klößchen radelten
geduckt.
„Ist echt blöd“, rief Klößchen,
„daß wir jetzt bei den Füchsen rumturnen.“
„Wenn Christian sich dort
versteckt, ist er seelisch in Not, braucht also Hilfe, und die geben wir ihm.
Sei nicht so bequem, Willi Sauerlich.“
Klößchen brummte in seinen
Kragen.
In der Stadt waren nur wenige
Fußgänger unterwegs. Umso mehr Autos. Geschäfte und Büros hatten geschlossen.
Und die Staus sahen hübsch aus — von weitem. Wie sie sich von Ampel zu Ampel
erstreckten: Autos mit vom Regen blanken Scheinwerfern und signalrotem
Bremslicht. Dazu die rauchblauen Abgaswolken von den fluchenden,
halbvergifteten Insassen sah man nichts. Beschlagene Scheiben verhinderten die
Sicht auf wütende Grimassen.
Tim nahm den kürzesten Weg.
Zehn Minuten später rollten sie
an den letzten Häusern vorbei.
Die Ottern-Straße endete an
einem Parkplatz. Der Waldrand stand da als schwarze Wand. Kein Wagen.
Tim lehnte sein Rad an die
rotweiße Schranke, die verhindern soll, daß Motorfahrzeuge auf dem Waldweg
Vordringen. Was Motorräder betrifft, war sie weitgehend nutzlos.
Mit dem neuartigen Kabelschloß
— das nur ein Bolzenschneider knacken kann — machte er sein Rennrad fest am
rechten Schrankenpfeiler.
„Die Taschen“, sagte Klößchen,
„kann man uns
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