Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
thematisiert, dass keine Branche so viele Rabatte bekommt und in Anspruch
nimmt, wie die Medien selbst: Ob beim Autokauf, bei Flugbuchungen,
beim Museumseintritt oder beim Zoobesuch - Journalisten bekommen Rabatte, über die öffentlich möglichst geschwiegen wird, um
nicht den Neid der Zeitgenossen zu provozieren. Wenige Tage vor
Wulffs Rücktritt ärgert sich der Publizist und Journalist Robert Leicht
in seiner Kolumne „Leichts Sinn" im Tagesspiegel über seine Branche
und die „fortgesetzte Aufregung über Christian Wulff, die immer mehr vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, von einem beträchtlichen
Anteil an medialer Heuchelei durchsetzt". Leicht verweist darauf, dass
die Medien es mit den roten Linien im Verhältnis zur Wirtschaft auch
nicht immer so genau nähmen, zum Beispiel wenn Verlagsempfänge
von Unternehmen gesponsert würden, über die man kritisch berichten
müsse. „Wer jedoch aus lustvoller Selbstgerechtigkeit weiterhin dem
medialen oder sonstigen Jagdinstinkt nachgibt, der landet schließlich
bei dem, was er Wulff vorwirft: der Beschädigung des Amtes." Warum
entlädt sich die Kritik an Wulff mit dieser Wucht?
In gewisser Weise holt Christian Wulff die Ausgangssituation vom
Beginn seiner Präsidentschaft wieder ein. Innerhalb kurzer Zeit steht
die Ablehnungsfront, die es am Vorabend der Präsidentenwahl gegen
Wulff gegeben hat, erneut, als der Präsident unter Druck gerät. Mit
Ausbruch der Krise wird deutlich, dass Wulff es in seiner Amtszeit
nicht geschafft hat, sich den Respekt einiger zentraler Leitmedien zu
erarbeiten. Vor allem die wichtigen Meinungsmacher Spiegel und
FrankfurterAllgerneineZeitung kann Wulff in seiner Amtszeit als Bundespräsident nicht davon überzeugen, dass er dem Amt gewachsen
ist, sie halten ihn auch am Vorabend der Krise noch für eine Fehlbesetzung. Inhaltlich werden die anderthalb Jahre der Präsidentschaft
als Totalausfall geschildert, die Akzente, vor allem beim Thema Integration, zählen nicht. Im Gegenteil: Man kann wohl davon ausgehen, dass Wulff sich mit seiner „Bunten Republik Deutschland" im
konservativen Teil der Medienlandschaft inhaltlich vielmehr zusätzlich ins Aus schießt. Wulff selbst trägt mit seiner fragwürdigen Strategie, kritischen Medien aus dem Weg zu gehen, selbst dazu bei, dass
diese Kluft bleibt. Sie fordert mit dem Ausbruch der Krise ihren Preis.
Der Präsident hat sich im wahrsten Sinn des Wortes in der kurzen
Amtszeit keinen Kredit erarbeitet.
Für diejenigen, die ihn schon immer für den „falschen Präsidenten"
gehalten haben, liefert die Krise den letzten Beweis, dass er für das Amt nicht geeignet ist. Als die Affäre um die Hausfinanzierung Ende Dezember 2011 im Sande zu verlaufen droht, ist es zuerst die seriöse FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung, die für die Verbreitung der Nachricht
auf der Mailbox von Bild-Chef Diekmann sorgt. So berechtigt die
Aufregung über den Anruf bei Bild ist, so deutlich macht jedoch der
Zeitpunkt der Veröffentlichung, dass ein Teil der Medien mit einer
Mission unterwegs ist: Der Präsident muss weg. Die Geschichte über
Wulffs Anrufe bei Bild und dem Springer-Vorstand erscheint zwei Wochen später und obwohl Bild-Chef Diekmann Wulffs Entschuldigung
angenommen hat. Im Bellevue gibt man sich in den Wochen der Krise
düsteren Verschwörungstheorien hin und sieht sich in einer Opferrolle,
die den Bundespräsidenten davor bewahrt, sich mit den schweren Fehlern des eigenen Krisenmanagements auseinanderzusetzen. Dennoch
ist das Ziel eines Teils der Medien, den Präsidenten aus dem Amt zu
entfernen, kaum zu leugnen. Die Motive der Akteure aufseiten der
Medien sind aber alles andere als einheitlich. Während die FAZ sich
zum Werkzeug der Bild-Zeitung macht, indem sie die Mailbox-Nachricht an die Öffentlichkeit bringt, steht der Spiegel dem Treiben von
Bild durchaus distanziert gegenüber. Bild selbst spielt in den Wochen
der Krise aufseiten der Medien zweifellos die entscheidende Rolle.
Bild legt mit Beginn der Krise, die sie selbst ins Rollen bringt, den
Schalter um: Der gute Wulff war gestern, ab sofort gibt es nur noch
den bösen Wulff. Ihr Verhältnis zu Christian Wulff in den Jahren vor
und während der Krise ist von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz
in der bereits zitierten Studie „Bild und Wulff- Ziemlich beste Partner" intensiv untersucht worden. Die beiden Autoren arbeiten heraus,
wie Bild nach vielen Jahren der „Jubelphase", mit der
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